Göttin des Lichts
auch die Sterblichen die schimmernde Spur bemerkt, und viele Frauen betupften lachend ihre Haut mit dem Geglitzer. Wieder runzelte Artemis die Stirn. Sie fand die Art, wie die weiblichen Sterblichen sich anzogen, seltsam und verwirrend: tief sitzende, verwaschene Beinkleider, die laut Bacchus Jeans genannt wurden, dazu taillenbetonte, oft sehr farbenfrohe Oberteile. Merkten diese Grünschnäbel denn nicht, wie unattraktiv es war, so viel Pummeligkeit zu entblößen? Üppig zu sein war ja eine Sache, aber die Aufmerksamkeit gezielt auf die eigenen Schwachstellen zu lenken, eine ganz andere. Die Göttin fand, dass manche von ihnen aussahen wie verzweifelte junge Würstchen.
»Da könntest du recht haben«, meinte Apollo, der sich die Worte seiner Schwester durch den Kopf gehen ließ, während sie sich langsam durch den Lärm und das Gewimmel der geschäftigen Einkaufsmeile schlängelten. »Irgendetwas fehlt ihnen. Vielleicht liegt es daran, dass es in ihrem Leben keine Göttinnen und Götter mehr gibt. Aber ich glaube nicht, dass alle Sterblichen so hohlköpfig sind, wie du denkst. Eigentlich erinnern sie mich hauptsächlich an mich selbst.« Als er das schockierte Gesicht seiner Schwester sah, musste er lachen. »Sie scheinen etwas zu suchen, was sich außerhalb ihrer Reichweite befindet.«
»Du bist ein Gott. Ein unsterblicher Olympier. Es gibt nichts, was sich außerhalb deiner Reichweite befindet«, entgegnete sie ernst, zwinkerte aber vielsagend, als sie an einem riesigen Brunnen vorbeikamen, in dem das Wasser um diverse nackte Nymphen herumsprudelte. Das zentrale Stück des Monstrums war eine gigantische Statue eines mürrisch dreinblickenden nackten Poseidon, der einen Dreizack umklammerte und grimmig auf die Passanten herunterstarrte. »Sie haben Glück, dass Poseidon kein Interesse daran hat, ihr Königreich zu besuchen, denn diese Darstellung wird der wahren Statur des Gottes …« – sie warf einen Blick auf die intimsten Körperteile des nackten Gottes – »… in keinster Weise gerecht.«
Apollo grinste. »Wahrscheinlich guckt er deshalb so böse.«
Artemis erwiderte sein Lächeln, erfreut, dass ihr Bruder wieder mehr wie er selbst klang. Vielleicht waren ihre Worte nun doch endlich bei ihm angekommen. »Aber wie dem auch sei – gut, dass Las Vegas nicht am Meer liegt. Poseidon kann furchtbar empfindlich sein.«
Sie kamen an einem Laden vorbei, an dem das Disney-Logo und ein lebensgroßer Pegasus prangten. Artemis spähte hinein. »Anscheinend sind die modernen Sterblichen besessen von Herkules, Atlantis und von Löwen.«
»Das Zeug hier ist wenigstens bunt.«
»Herkules war aber in Wirklichkeit gar nicht so attraktiv«, stellte Artemis fest und sah über die Schulter zu dem Geschäft zurück.
»Du mochtest ihn ja noch nie.«
»Er hatte Haarausfall. Ich finde kahle Männer nicht attraktiv, ganz egal, wie viele anstrengende Arbeiten sie verrichten.«
Sie bogen um eine Ecke und sahen, dass sich eine große Menschenmenge um einen weiteren pompösen Brunnen versammelt hatte, und Artemis fragte sich schon, welcher böse dreinschauende Gott wohl auf diesem die Hauptattraktion darstellte. Sie und ihr Bruder waren auf ihren kurzen Besuchen im Forum bisher nie zu dieser Stelle vorgedrungen, und als sie näher kamen, wurde sie neugierig. Der Brunnen befand sich mitten auf einem großen, von kunstvoll geschnitzten Säulen eingefassten Platz. Die ihn flankierenden Geschäfte wirkten anders als am anderen Ende des Forums. Offensichtlich konzentrierte man sich hier auf Lebensmittel und Wein, und nicht so sehr auf Kleidung und Schmuck. Besonders ein kleines Lokal erschien ihr interessant. Hier fehlte die billige Goldschrift, die sonst überall im Forum die Namen der Läden und Boutiquen herausposaunte. Stattdessen wuchsen Moos und Ranken zwischen alten Marmorbuchstaben, die das kleine Weinlokal als »The Lost Cellar« – der verschollene Keller – kenntlich machten.
Artemis schubste ihren Bruder mit dem Ellbogen in die Seite und hob das Kinn in Richtung des Lokals. »Lass uns da reingehen. Ich bin genau in der richtigen Stimmung für einen blutroten Chianti.«
»Wann bist du denn mal nicht in der Stimmung für Rotwein?« Lächelnd nahm er ihren Arm und führte sie am Rand der Menge entlang.
Auf einmal verblassten die Lichter, die den mit Wölkchen bemalten Himmel erhellten, und verfärbten sich von Gelb in Helllila und Violett. Ein gespanntes Murmeln ging durch die Menge, und Artemis und Apollo
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