Goettin meines Herzens
Großvaters gewohnt war.
„Ich bewundere Ihren Fleiß“, sagte sie wahrheitsgemäß.
„Da sind Sie einige der wenigen Ihres Standes, die das tun.“
„Wenn ich Ihre Vorurteile bestätigen soll, werden Sie eine herbe Enttäuschung erleben. Ich bin offiziell nie in die Gesellschaft eingeführt worden. Wahrscheinlich weiß ich weniger über deren Gepflogenheiten als Sie.“
„Bedauern Sie dies?“, fragte er unerwarteterweise.
„Welches Mädchen würde das nicht tun?“, antwortete sie leichthin. Seinen eindringlich fragenden Blick bemerkend, versuchte sie indes eine aufrichtigere Antwort zu geben, während sie vor der Sonnenuhr beim Wintergarten innehielten. „Ich bedaure, die Zuneigung meines Großvaters verloren zu haben wie auch die Freundschaften, die ich nie schließen konnte. Ich wusste nicht zu schätzen, was ich besaß, bis es unweigerlich verloren war, doch letztendlich hat mich diese Lektion gelehrt, dass man sich Respekt und Zuneigung verdienen muss und dies nicht als selbstverständliches Recht einfordern kann.“
„Ich würde es niemals zulassen, dass meine Schwestern der Welt allein gegenübertreten müssen, ohne den Schutz der Menschen, die sich um sie kümmern sollten – so wie es Ihnen geschehen ist.“
„Das freut mich zu hören. Ich wusste gar nicht, dass Sie Schwestern haben, Mylord.“
„Nun, sie sind inzwischen respektabel vermählt und glücklich mit ihren Gatten und ihrer Kinderschar. Ich glaube, sie versuchen sich gegenseitig darin zu überbieten, durch die Freuden der Ehe unsere weniger glückliche Kindheit zu vergessen“, erwiderte er beiläufig und erlaubte ihr damit, ihre Unterhaltung in die Richtung ihrer Wahl zu lenken, was sie erneut durcheinanderbrachte.
„Sie lieben sie wohl sehr.“ Wenigstens verriet ihre ruhige Stimme nicht ihre Wehmut, wenngleich eine Welle des Selbstmitleides sie erfasste, als sie sah, wie die Zuneigung für seine Schwestern ein erinnerungschwangeres Lächeln auf seine zuvor fest zusammengepressten Lippen zauberte.
„Das tue ich in der Tat“, gab er zu.
„Ich glaube, Ihre Schwestern haben großes Glück, sowohl von ihrem Bruder als auch ihren Gatten geliebt zu werden. Das freut mich für sie.“
Überrascht blickte er sie einige Augenblicke stumm an. „Ich glaube wirklich, Sie meinen das aufrichtig. Sie stellen sich tatsächlich als bemerkenswerte Frau heraus, Mrs. Braxton“, sagte er schließlich.
„Oh ja, es ist fraglos höchst bemerkenswert, dass ich zwei Menschen, die große Armut in ihrer Kindheit erdulden mussten, Glück wünschen sollte, nicht wahr?“
„Da Sie diese beiden Menschen nicht kennen, ist es das tatsächlich.“
„Sie deuten zu viel in eine achtlose Bemerkung.“
„Vielleicht tue ich das“, stimmte er höflich zu, dann aber erinnerte er sich an seinen Entschluss und lenkte das Gespräch unvermittelt auf weniger vertrauliche Dinge. „Wo befindet sich dieser berühmte mittelalterliche Turm, von dem ich schon so viel gehört habe?“, verlangte er in sachlichem Ton zu wissen.
„Am See“, antwortete sie. „Er war Teil der ursprünglichen Burg der Alstones, in der Zeit, als sie kaum mehr als Diebe und Piraten waren. Man sagt, der Urahn, der die Ziergärten anlegte, sei beim Fund dieses mittelalterlichen Bauwerks vor Begeisterung außer sich gewesen, weshalb er es auch restaurieren ließ. Der Legende nach soll es darin spuken. Wahrscheinlich ist es der Geist unseres Ururgroßvaters, den seine kuriosen Ideen beinahe in den Ruin trieben.“
„Sie kennen sich gut in der Familiengeschichte aus. Ich hingegen weiß wahrscheinlich mehr über die Königsfamilie als über meine eigene.“
„Das liegt nur daran, dass meine Gouvernante eine Leidenschaft für Geschichte pflegte. Wie lasen gemeinsam einige der Familiendokumente. Warum müssen Männer immer annehmen, dass sich Frauen für nichts weiter interessieren als für Mode und Klatsch?“, fragte sie, entschlossen diese Unterhaltung so unpersönlich wie möglich zu gestalten.
„Da ich mit meinen Schwestern Almack’s und einige Bälle besucht habe, sollte es kaum Wunder nehmen, wenn ich nun glaube, die Damenwelt lebe ausschließlich für diese beiden Dinge.“
„Nun, an solchen Vergnügungen habe ich nie teilgenommen, aber gewiss wird die Gesellschaft nicht so hohlköpfig sein.“
„Nein, wenn es auch zuweilen den Anschein hat. Ihnen ist indes nicht viel entgangen. Mir schien es, als ob der Großteil der jungen Damen der Gesellschaft nur eines im Sinn
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