Goettinnensturz
wirklich keine Sorgen zu machen, Berenike«, erklang seine Stimme.
»Wirklich nicht, Nike«, sagte Jonas und ließ sie los. »Reinhard hat mich bestens versorgt.«
»Ja«, sagte Berenike und hüstelte. Sie ließ die Hand sinken, rieb sich die Arme. Kälte kroch in ihr hoch. Dunkelheit und Kälte. »Deshalb hat Kain dich also nicht in der Notaufnahme gefunden.«
»Genau deshalb.«
Berenike strich immer noch über ihre Arme. Diese Kälte!
»Alles okay mit dir?« Reinhard blickte sie forschend an. Trotz seiner blonden Haare strahlte er etwas Düsteres aus, das Berenike noch mehr frösteln ließ. Vielleicht, weil seine Augen dunkel waren, die Pupillen riesengroß. Gerade warf er sich einen weißen Kittel über seine schwarzen Jeans und den feingewebten schwarzen Pulli.
Ein schleifendes Geräusch erklang, als sich Reinhard über die Wangen rieb und auf seine Armbanduhr blickte. »Also, nichts für ungut, Leute, wir sollten loslegen.« Sein Blick wanderte zu der Bahre mit der Leiche. Die Tote von gestern, jetzt war es deutlich erkennbar. Die blonden Haare waren getrocknet und lockten sich um das blasse Gesicht. Sie war einmal fesch gewesen, die Monika. Ziemlich fesch. Hätte selbst eine gute Narzissenkönigin abgegeben. Nur dieses Runen-Schmuckstück um ihren Hals, das hätte nicht sein müssen. Ohne das wäre es vielleicht nie so weit gekommen. Berenike hatte immer noch nicht mit Jonas reden können. Hatte über allem anderen nicht daran gedacht. Nicht daran .
»Also, wenn du dich fit dafür fühlst, natürlich, Jonas?«, meinte Reinhard fragend.
»Natürlich tu ich das!« Jonas ruckelte ungeduldig an seinem Verband. Der junge Arzt begann, ihm einen neuen Verband anzulegen. Nur mühsam hielt Jonas still, die Füße zappelten, die Ringe unter seinen Augen schienen noch dunkler zu sein.
»Dann ist’s ja gut«, sagte Reinhard. »Vor allem, da es gleich neue Kundschaft gibt.«
»Was? Davon weiß ich nichts.« Jonas fuhr herum, riss dem jungen Arzt die Bandage aus der Hand, der stöhnte, ließ es aber geschehen.
»Der Kollege hat einen Anruf bekommen.« Reinhard deutete auf den schlaksigen Arzt. »Beim Kaffeetrinken, übrigens. Soll eine männliche Leiche geben, mehr weiß ich nicht.«
»Du warst nicht erreichbar, Jonas«, erinnerte sich Berenike. »Kain hat dich anrufen wollen. Was ist mit deinem Handy? Kain hat mir von dem neuen Toten erzählt, in Bad Aussee, bei der Mühle.« Von ihrem … Erlebnis mit Monika musste sie ihm auch noch erzählen. Unter vier Augen. Vor Reinhard war ihr das zu peinlich. Monikas Tod hatte alles andere überdeckt.
»Mein Handy, ja, ich weiß nicht«, murmelte Jonas und tastete seine Hosentaschen ab. »Muss ich verloren haben. Wer ist der weitere Tote?«
»Hat Kain nicht gesagt.«
»Dann weißt du auch nicht, was passiert ist, Berenike, oder?«
»Nur dass es ein Mann ist und dass er ermordet wurde. Das, meinte Kain, könne sogar er diesmal sagen. Er erwähnte irgendwas von einem Hemd als Erdrosselungswaffe.«
»Na dann los«, rief Reinhard und zog den weißen Mantel aus. »Unsere Patientin hier versäumt nichts mehr.«
*
»Da ist er ja, der Herr Abteilungsinspektor«, spöttelte Kain und stolzierte breitbeinig am Ufer entlang, als sie in Bad Aussee eintrafen. »Da wird dieses kriminelle Rätsel sicher umgehend gelöst sein.«
Mara Wander, blonde langbeinige Kollegin von Jonas und erfolgreiche Profilerin, kam auf sie zu. Reinhard hatte darauf bestanden, zu fahren. Den jungen Arzt hatte er im Spital zurückgelassen und gebeten, Monikas Leiche so weit zu versorgen, bis er zurückkäme. Dann war Reinhard ihnen voran zu seinem Wagen geeilt. Jonas sollte den verletzten Arm möglichst wenig bewegen, und Berenike sei zu aufgeregt. Tatsächlich hatte sie immer noch unverschämt weiche Knie nach der überstandenen Aufregung.
»Was gibt es?«, fragte Jonas. Zumindest blutete seine Wunde kaum noch, der neue Verband war beinahe blütenweiß geblieben. Betont forsch stapfte er auf den Toten zu, dessen rot-weiß kariertes Hemd im hellen Sonnenlicht leuchtete. Der Föhn wehte immer noch. Es könnte ein schöner Tag sein … Wenn nicht ein Körper, ein toter Körper, an die Speichen der Mühle gebunden worden wäre. Irgendjemand hatte das Mühlrad blockiert, oder es war durch den gefesselten Körper geschehen. Blaue Flecken zierten das Gesicht des Toten. Berenike mochte sich gar nicht ausmalen, wie zerschunden der Rest seines Leibes sein mochte, und welche Schmerzen dies bedeutet hatte …
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