Gold in den roten Bergen
Straße mehr, nur noch eine Piste, die mit einem Allradfahrzeug zu bezwingen war. Über Wüsten- und Geröllboden ging es vorwärts, durch Schlaglöcher und Sandverwehungen, durch Tümpel, die vom letzten Regen übriggeblieben waren, durch tiefe Reifenspuren von den Lastwagen, die den letzten Flecken Zivilisation Kings Canyon mit dem Notwendigsten zum Leben versorgten.
Das einzige, das anzeigte, daß man sich noch unter Menschen befand, waren die Telegraphen- und Lichtmasten, die neben der Piste fast schnurgerade herliefen, 93 Kilometer lang … Und dann begann wirklich das Nichts Nichts, ein Land, das nutzlos war, nur noch gut genug für die Stämme der Aboriginals.
Boabo hatte immer wieder die Karte auf dem Känguruhleder studiert und dann den Kopf geschüttelt. Der Vorschlag, zunächst zum Mount Murray zu fahren, war von ihm gekommen, weil er von den Aboriginals in Alice Springs erfahren hatte, das sich dort eine größere Sippe des Yunukoojootjara-Stammes aufhalten sollte. Aus dessen Sprache stammten die Worte auf der Karte.
Aber – und das hatte Boabo ebenfalls aus seinen mißtrauischen Artgenossen herausbekommen – in diesem ganzen Gebiet gab es keinen Felsen, der wie ein Bein aussah. Es waren entweder wild zerklüftete Berge oder von den heißen Winden in Millionen Jahren glatt und rund geschliffene Steine, Riesenmurmeln gleich, mit denen einmal, so glaubten die Eingeborenen, die Götter gespielt hatten. Und darum herum wieder nur das grenzenlose Land … rote Wüste, Spinifexgras, verdörrte Bäume, Geröll von zerfallenen Felsen, die vor hundert Millionen Jahren hier einmal aufgeragt hatten, und flaches, totes, zum Teil noch salziges Land … der Boden eines vor hundertachtzig Millionen Jahren hier wogenden Ozeans.
Trotzdem hatte Boabo gesagt, daß man zunächst zum Mount Murray fahren müsse, um die Aboriginal-Sippe zu fragen und vor allem zu erfahren, wo man den Stammesältesten finden konnte. Mit ihm mußte man über die Schürfrechte verhandeln. Wolf hatte als Geschenk für den Ältesten ein Transistorradio mit zwölf Ersatzbatterien gekauft. Dafür würde der Alte vermutlich jede Lizenz unterschreiben.
Zwischen Wallera und Kings Canyon geschah dann eine der Unvermeidbarkeiten auf einer langen Fahrt. Der Toyota hielt an, Chick und Boabo sprangen aus dem Wagen, stellten sich neben die Piste und pinkelten. Hinterher kam Chick, sich die Hose zuknöpfend, zum VW-Bus und sagte: »Daran müßt ihr euch gewöhnen, meine Damen … Hier gibt es keine Toilettenhäuschen, nicht mal Büsche, hinter die man gehen kann. Wer sich schämt, kann jetzt noch umkehren. Es ist die letzte Möglichkeit.«
»Auch daran gewöhnen wir uns«, antwortete Sally. »Wenn's weiter nichts ist … Ist ja nichts Unbekanntes.«
Man soll es nicht glauben, aber Kings Canyon, dieses Ende der Zivilisation im Winkel der beiden Reservate Haasts Bluff und Petermann, besaß tatsächlich eine Schule, eine Polizeistation, eine Sanitätsniederlassung und eine Art Gemeindehaus, von dem aus die weitverstreuten Farmen betreut wurden, wohin auch die Post kam und wo eine Funkstation die einzige Verbindung zu den Farmen bildete. Auch ein Missionar wohnte hier, der mit seinem Geländewagen im Never Never herumfuhr, unter freiem Himmel zwischen vertrockneten Bäumen einen Klapptisch mit weißer Decke aufbaute, darauf ein silbernes Kurzifix, eine Monstranz und einen Kelch stellte und den Aboriginals das Wort Gottes verkündete. Der Erfolg war mäßig; die Eingeborenen kamen größtenteils nur, weil Pater Dermotius ihnen Zigaretten und Werkzeug mitbrachte, vor allem Äxte, Beile, Sägen und Nägel, die mehr als Gold wert waren. Für diese nützlichen Dinge saßen die Aboriginals gern eine Stunde vor dem weißgedeckten Tisch, hörten sich die komischen Geschichten von einem Herrn Jesus an, machten dem Pater das Kreuzzeichen nach und beneideten ihn, daß er aus einem silbernen Becher Alkohol trinken durfte. Er sagte dabei: »Das ist mein Blut …«, und die Aboriginals grinsten vor sich hin.
Im Kings Canyon blieben Chick, Wolf, Boabo, Sally und Cher über Nacht. Sie belegten zwei Zimmer im Hause des Lehrers, eines Mr. René Boncoeur, ein Idealist, der den für ihn passenden Namen – nämlich ›Gutes Herz‹ – besaß und dessen Vorfahren vor 145 Jahren als Sträflinge von Porthmouth in England nach Australien deportiert worden waren. Aus irgendwelchen Gründen waren sie seinerzeit aus Frankreich geflüchtet, und aus irgendwelchen Gründen hatte man
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