Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gold. Pirate Latitudes

Gold. Pirate Latitudes

Titel: Gold. Pirate Latitudes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Crichton
Vom Netzwerk:
erste Kanone. Ein Tau riss, und sie schlitterte wie ein Geschoss über das schräge Deck, durchschlug die Reling auf der anderen Seite und stürzte ins Wasser. Die Männer waren entsetzt von der Schnelligkeit, mit der das passiert war. Bei der zweiten Kanone verdoppelten sie die Taue, doch sie rissen trotzdem, und die Kanone zerquetschte einen Seemann auf ihrem Weg ins Meer.
    Die nächsten fünf Stunden kämpften sie gegen Wind und Regen, um die Kanonen auf die andere Seite zu schaffen und sicher zu vertäuen. Schließlich war es geschafft, und alle Männer an Bord klammerten sich zu Tode erschöpft mit dem letzten Quäntchen Kraft im Leib wie ertrinkende Tiere an Streben und Relings, um nicht über Bord gespült zu werden.
    Doch Hunter wusste, dass der Sturm erst anfing.
     
    Ein Hurrikan, das wohl furchterregendste Naturereignis überhaupt, war für die Reisenden auf ihrem Weg in die Neue Welt eine noch nie gemachte Erfahrung. Der Name – Hurrikan – ist ein Arawak-Wort für Stürme, für die es in Europa keine Entsprechung gibt. Hunters Männer wussten, wie schrecklich diese gigantischen Wirbelwinde wüteten, und suchten angesichts der fürchterlichen Wirklichkeit, dass sie so einem Sturm jetzt ausgesetzt waren, Zuflucht bei den ältesten abergläubischen Vorstellungen und Bräuchen der Seefahrt.
    Enders stand am Steuer, beobachtete die Wasserberge ringsherum und murmelte jedes Gebet, das er je als Junge gelernt hatte, während er immer wieder den Haifischzahn berührte, den er um den Hals trug, und wünschte, er könnte mehr Segel setzen. Die El Trinidad mühte sich derzeit mit nur drei Segeln ab, und es brachte Unglück, mit drei zu segeln.
    Unter Deck nahm der Maure seinen Dolch und schnitt sich in den Finger, malte dann mit seinem Blut ein Dreieck auf die Planken. In die Mitte des Dreiecks stellte er eine Feder und hielt sie fest, während er lautlos eine Beschwörungsformel murmelte.
    Vorn im Schiff warf Lazue ein Fässchen mit Pökelfleisch über Bord und hielt drei Finger hoch. Es war der älteste Aberglaube von allen, obwohl sie nur die alte Seemannsgeschichte kannte, dass ins Meer geworfene Nahrungsmittel und drei in die Luft gereckte Finger ein Schiff in Seenot retten könnten. Die drei Finger standen für den Dreizack Neptuns, und die Nahrungsmittel waren eine Opfergabe an den Meeresgott.
    Hunter selbst gab vor, für derlei Aberglaube nur Verachtung zu empfinden, ging aber in seine Kajüte, verriegelte die Tür, kniete sich hin und betete. Rings um ihn herum wurden die Möbel von einer Wand gegen die andere geworfen, während das Schiff wie verrückt auf den tosenden Wellen tanzte.
    Draußen heulte der Sturm mit dämonischer Wut, und das Schiff unter ihm stieß knarrend und ächzend lange, gequälte Seufzer aus. Zuerst nahm er keinen anderen Laut wahr, doch dann hörte er den Schrei einer Frau. Und dann wieder einen.
    Er eilte aus seiner Kajüte und sah, wie fünf Seeleute Lady Sarah Almont zum Niedergang zerrten. Sie schrie und wehrte sich mit Händen und Füßen.
    »Halt«, rief Hunter und ging zu ihnen. Über ihnen krachten Wellen aufs Deck.
    Die Männer wichen seinem Blick aus.
    »Was geht hier vor?«, wollte Hunter wissen.
    Keiner der Männer antwortete. Schließlich kreischte Lady Sarah: »Die wollen mich ins Meer werfen!«
    Der Wortführer der Männer schien Edwards zu sein, ein rauer Seemann, der schon bei Dutzenden Kaperfahrten dabei gewesen war.
    »Sie ist eine Hexe«, sagte er und sah Hunter trotzig an. »Eine Hexe, Captain. Wir überstehen den Sturm niemals, wenn sie an Bord ist.«
    »Das ist Unfug«, sagte Hunter.
    »Glaubt mir«, sagte Edwards. »Mit ihr an Bord sind wir verloren. Glaubt mir, sie ist eine Hexe, so wahr ich hier stehe.«
    »Woher weißt du das?«
    »Ich hab’s ihr gleich angesehen«, sagte Edwards.
    »Welche Beweise hast du?«, fragte Hunter nach.
    »Der Mann ist verrückt«, sagte Lady Sarah. »Vollkommen verrückt.«
    »Welche Beweise?«, rief Hunter über den tosenden Wind hinweg.
    Edwards zögerte. Schließlich ließ er die Frau los und wandte sich ab. »Hat keinen Sinn, drüber zu reden«, sagte er. »Aber Ihr werdet schon sehen. Ihr werdet schon sehen.«
    Er ging weg. Einer nach dem anderen folgten die anderen Männer ihm, und Hunter blieb allein mit Lady Sarah zurück.
    »Geht in Eure Kajüte«, sagte Hunter, »verriegelt die Tür und bleibt dort. Kommt unter keinen Umständen heraus und öffnet auf gar keinen Fall die Tür.«
    Ihre Augen waren weit aufgerissen

Weitere Kostenlose Bücher