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Gold und Stein

Gold und Stein

Titel: Gold und Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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dem Haus gestürmt, um ihren Plan in die Tat umzusetzen. »So schnell wie möglich werde ich Wehlau verlassen und mich auf die Suche nach meiner Tochter begeben. Ich werde sie wiederfinden. Daran hinderst weder du mich, noch werden mich die geschlossenen Stadttore oder gar die Belagerung durch die Ordensritter aufhalten. Solange ich Hoffnung habe, meine Tochter zurückzubekommen, werde ich alles ertragen.«

4
    E ndlich zeichneten sich die Umrisse der drei Königsberger Städte am Horizont ab. Der Abend zog herauf, die Sonne schickte sich an, als glutroter Feuerball im Westen zu versinken. Vor dem dämmrigen Blau des Übergangs zwischen Tag und Nacht erhoben sich die Mauern und Türme der Pregelstädte wie gewaltige, schwarze Bastionen. Ein letzter Streifen goldenen Lichtes tanzte über die Dächer und Spitzen der Burg oberhalb der Altstadt. Fasziniert rief sich Agnes die Zeichnungen aus Laurenz’ Buch in Erinnerung. So beeindruckend diese bereits gewesen waren, die Wirklichkeit übertraf sie noch bei weitem: Ein gewaltiger Mauerring aus rotem Backstein umschloss das Innere und war mit mehreren aus den Mauern vorspringenden Türmen sowie vier Ecktürmen geschmückt. Ausladende Dächer ließen auf die stattlichen Bauten innerhalb des Rings schließen, wie sie Laurenz in seinem Buch in knappen Federstrichen festgehalten hatte. Der freistehende Turm an der Südseite diente als Wart- und Glockenturm. In seinem oberen Drittel durchbrachen mehrere Reihen Rundbogenfenster das ansonsten schlichte Mauerwerk. Auffällig war ebenso der Danzker, der an der Südwestecke auf vier Mauerpfeilern über dem Burggraben thronte. Ein gemauerter Gang verband ihn mit dem Konventshaus im Innern des Mauerrings. Agnes kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Wieder und wieder glitten ihre Augen an der Anlage entlang, erfreuten sich an den golden leuchtenden Dächern und dem blinkenden Stein. Wie recht Laurenz hatte: Bernstein war das Gold, die Burgen der Stein, auf dem die Kreuzherren ihre Macht im Ordensland begründeten. Ob es den Bündischen je gelingen würde, erfolgreich dagegen anzurennen?
    »Gleich sind wir da«, brummte Meister Friedrich. Sie fuhr zusammen. Fast hatte sie vergessen, wo sie sich befand: auf dem rumpelnden Fuhrwerk von Laurenz’ Zunftgenossen. Die Aussicht, bald wieder auf festem Boden zu stehen und sich frei bewegen zu können, war verlockend. Viel zu lange schon harrte sie zwischen den Fässern und Säcken hinten auf dem Fuhrwerk aus. Der bärbeißige Meister Friedrich vorn auf dem Balken saß da weitaus bequemer. Neben ihn zu klettern, hatte Agnes nicht gewagt. Sehnsuchtsvoll schaute sie auf Laurenz, der auf seinem Braunen ein gutes Stück vorausritt.
    »Seht nur, Selege ist schon vorn am Rosstor und kündigt uns bei den Wachen an«, rief Meister Friedrich und drehte sich lachend zu ihr um. »Zum Glück kommen wir noch rechtzeitig, um Einlass zu erhalten. Die Herbergen hier draußen sind furchtbar.«
    Schon wandte er sich wieder seinem Ochsen zu und schnalzte mit der Zunge. Der Schädel des massigen Tieres wippte heftig auf und ab, das breite Kreuz ruckte, als nickte er zustimmend. Geschickt lenkte Meister Friedrich das Gespann bis zum Stadttor. Breitbeinig standen dort zwei Wachen, die Piken gekreuzt, den Blick streng auf die Neuankömmlinge gerichtet. Ungeduldig sah Laurenz dem Wagen entgegen. Sein Pferd trippelte auf der Stelle. »Beeilt euch!«, rief er, als sie auf gleicher Höhe waren, und gab dem Fuhrwerk den Weg frei. Auch die Wachposten traten bereitwillig zur Seite. Dicht hinter dem Fuhrwerk ritt Laurenz hinein. Direkt hinter ihm schlossen die Wachleute das Tor.
    Neugierig, was sie in Laurenz’ Heimatstadt erwartete, schälte Agnes sich aus den Säcken und kroch an den wackelnden Fässern vorbei zum rückwärtigen Wagenende. Was sie von dort aus erblickte, gefiel ihr, wenn es auch ganz anders aussah als in Wehlau. Die vom Berghang geprägte Anlage der Straßen und Gebäude war eigenwillig. Trotzdem empfand Agnes sogleich eine gewisse Vertrautheit. Freundlich winkte ihr eine Alte von einem offenen Fenster aus zu, ein Mann mit einem dicken Bündel Heu auf dem Rücken nickte lächelnd. Erfreut erklärte sie Laurenz: »Das letzte Stück gehe ich zu Fuß. Mir ist nach Bewegung, und außerdem will ich etwas von der Stadt sehen.«
    Mit einem Satz sprang sie schwungvoll von dem ruckelnden Fuhrwerk. Um nicht hinzufallen, musste sie sich mit den Händen auf dem unebenen Pflaster abfangen und scheuerte sich dabei die

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