Gold und Stein
Handinnenseiten auf. Flink erhob sie sich, klopfte den Staub aus der Kleidung und setzte ein Lächeln auf. Den Schmerz an den aufgeschürften Händen und Knien verdrängte sie. »Ich habe es da oben einfach nicht mehr ausgehalten.«
Zu ihrer Überraschung glitt Laurenz aus dem Sattel und eilte, die Zügel des Braunen in der Hand, dem Fuhrwerk nach. »Wartet!« Überrascht hielt Meister Friedrich den Wagen an. Agnes’ Abstieg hatte er gar nicht bemerkt. »Fahrt allein zu Eurer Unterkunft und nehmt mein Pferd mit. Das letzte Stück gehe ich mit meiner Base zu Fuß. So kann sie noch etwas vom Löbenicht sehen, bevor es dunkel wird. Wir treffen uns wie vereinbart im Morgengrauen am Mühlentor. Ich werde pünktlich sein.«
Damit lupfte er das Barett und deutete eine Verbeugung an. Agnes wollte sich ebenfalls artig von Meister Friedrich verabschieden und ihm für die Fahrt danken. Doch er kam ihr zuvor, tippte schweigend an seine Gugel und trieb den Ochsen an. Überrascht von diesem abrupten Abschied sprang Agnes beiseite und sah dem Gefährt nach, bis es in Höhe des Marktbrunnens nach links in eine Gasse bergabwärts einbog.
»Tut mir leid, Agnes«, erklärte Laurenz. »Die Fahrt auf Meister Friedrichs Wagen war gewiss nicht sonderlich bequem. Er ist ein seltsamer Kauz. Ohne ihn aber hätten wir es kaum geschafft, heute noch im Löbenicht einzutreffen. Die Zeit drängt, der Pfleger auf der Marienburg erwartet mich. Deshalb muss ich morgen gleich bei Tagesanbruch los.«
»So ist es dir wirklich ernst, mich hier allein zu lassen?«
»Es muss sein, Liebelein«, erwiderte er leise. »Komm, gehen wir weiter. Bald wird es dunkel, und der Nachtwächter beginnt seine Runde.« Einladend wies er die Gasse entlang. »Das hier ist unsere Hauptstraße. Wir nennen sie Obergasse, weil sie auf dem Berg liegt. Die Anlage Löbenichts unterscheidet sich von den anderen Ordensstädten, die du kennst. Des Berges wegen ließen sich die Straßen nicht ordentlich wie in einem Netz planen. Es gibt zahlreiche Kurven und Winkel. Alles sieht ein wenig anders aus, als du es etwa von Wehlau her gewohnt bist. Dort vorn steht schon die Barbarakirche, unser wichtigstes Gotteshaus. Es ist zugleich Johannes dem Täufer geweiht, aber so nennt es keiner. Unten am Fuß des Hügels findest du die Langgasse, die ebenso wie die Obergasse von Ost nach West verläuft und an den Toren der Altstadt endet. Diese Ausrichtung wiederum dürfte dir von deiner Heimatstadt her bekannt sein.«
Stolz wies er mit der freien Hand in die angegebene Richtung. Aufmerksam sah sie sich um. Ein- und zweigeschossige Häuser, zunächst vor allem aus Lehm und Holz, dann immer öfter aus festem Stein, säumten die Straße zu beiden Seiten. Die Bewohner waren dabei, Türen und Fensterläden zu schließen, Körbe, Fässer und Bänke nach drinnen zu räumen. Mägde und Knechte schleppten Waren, die vom Verkauf auf dem Wochenmarkt übrig geblieben waren. Die kleineren Kinder hatten ihren Spaß, das frei umherlaufende Federvieh einzufangen. Ein älterer Junge jagte mit dem Stock ein quiekendes Schwein dicht an ihnen vorbei.
Agnes schnupperte. Ein vertrauter Geruch stieg ihr in die Nase: Malz! Sie musste nicht lang suchen, um an einigen Häusern das Zeichen der Brauer oberhalb der Türen zu entdecken. Krüge oder Schankwirtschaften erblickte sie allerdings nur wenige.
»Hier bei uns liegt auf sehr vielen Grundstücken das Braurecht.« Laurenz schien ihre Gedanken erraten haben. »Unten in der Langgasse ist das fast in jedem Haus der Fall. Das geht zurück auf die Zeit der Lokatoren vor bald zweihundert Jahren. Damals hat zu fast jeder Hofstelle auch das Recht zum Bierbrauen gehört. Meine Muhme besitzt es übrigens auch, nutzt es jedoch wenig. Sie bedarf wohl erst noch einer guten Lehrmeisterin. Ihr Gerstensaft schmeckt reichlich bitter. Abhilfe täte not.« Vergnügt zwinkerte er ihr zu. »Bislang darf sie einmal in der Woche brauen. Dazu wird ihr von den Brauknechten die Sudpfanne ins Haus gebracht. In den Häusern mit einer großen Diele besitzen die Leute oft eine eigene Sudpfanne und brauen fleißiger. Das Bier verkaufen sie an die Bewohner ohne eigenes Braurecht oder an die Schankwirte. Nicht jeder unserer Wirte verfügt über das Braurecht, weil es an das Haus und nicht an den Bürger gebunden ist. Dafür gibt es in keiner der drei Städte Königsbergs ein großes Brauhaus, in dem jedermann brauen darf. In der Burg der Kreuzherren wird nur Bier für die Ordensritter selbst
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