Gold und Stein
gebraut. Wir Löbenichter stellen mit der Malzbrauerzunft übrigens eine stolze Bürgerschaft, die mindestens so viel zählt wie die Kaufmannsgilde in der Altstadt oder im Kneiphof. Nur die ehrenwertesten Leute, alles alteingesessene Bürger, gehören dazu.«
Über seinen Worten schwoll seine Brust stolz an. Das brachte Agnes zum Schmunzeln. »Wie schön, das alles zu hören. Jeder Silbe entnehme ich, wie sehr du deine Heimatstadt liebst.«
»Ja, du hast recht. Sie gibt mir Halt in all den Wirren des Lebens. Deshalb kehre ich so oft wie möglich hierher zurück.«
Bewegt hielt er inne. Agnes verlangte es danach, seine Hand zu berühren.
»Mein Vater ist sehr früh gestorben«, erzählte er weiter. »Meine Mutter hat sich als Hebamme verdingt. Ich bin ihr einziger Sohn. Es war ihr wichtig, mir den Besuch der Lateinschule zu ermöglichen und danach für eine gute Ausbildung zu sorgen. Der Pfleger in der Ordensburg hat mein Talent und mein Interesse am Bauen und Ausstatten von Häusern früh erkannt. Deshalb hat er mir zu einer Lehre bei einem der besten Steinmetze verholfen. Dank seiner Fürsprache habe ich mich nach der fünfjährigen Lehrzeit bei einem angesehenen Baumeister in Danzig als Kunstdiener auf der Marienburg verdingen können. Seither bin ich leider viel zu selten zu Hause gewesen. Meine Mutter ist schon während meiner Lehrzeit gestorben. Meine Muhme, zu der ich dich gleich bringen werde, ist meine einzige Verwandte. Außer mir ist ihr nur die Tochter geblieben, doch die lebt fast eine Tagesreise entfernt von hier. So haben meine Muhme und ich ein ganz besonderes Verhältnis zueinander.«
Das Schicksal seiner Familie rührte Agnes. Zugleich erfüllte es sie mit Genugtuung, zum ersten Mal von seiner Herkunft und seinem Werdegang zu hören. Die Rückkehr in seine Heimatstadt hatte ihm die Zunge gelöst. Doch in diese Freude mischte sich Sorge. Bang sah sie ihn an. »Was wird deine Muhme wohl denken, wenn du ihr ein fremdes Mädchen ins Haus bringst, das Mutter und Großmutter schmählich im Stich gelassen und sich dir geradezu aufgedrängt hat?«
Ganz in Gedanken versunken, brauchte er eine Weile, bis er ihre Frage verstand. »Keine Sorge, meine Muhme wird dich wie eine eigene Tochter in ihrem Haus aufnehmen.«
»Bist du sicher?« Bei der Vorstellung, die gute Frau könne ahnen, wie nah sie und Laurenz sich bereits gekommen waren, glühten ihr die Wangen vor Scham. Sagte man nicht, dass Frauen so etwas auf den ersten Blick spürten? Griet fiel ihr ein. Wie eindrucksvoll sie ihr vom Garten der Lust erzählt hatte. Das hatte sie nur gekonnt, weil sie ahnte, dass Agnes selbst schon am offenen Tor gestanden hatte. Verstohlen äugte sie zu Laurenz. Wie sehr sie ihn liebte! Deshalb hatte sie sich ihm auch bereitwillig hingegeben. Wer, wenn nicht er, besaß das Recht an ihrem Körper? Sacht berührte sie ihn am Arm, er aber bemerkte es nicht. Starr sah er auf den Weg, kannte nur ein Ziel: sie zu seiner Muhme bringen.
Im Profil wirkte sein Gesicht besonders vornehm. Die feinen Linien von Stirn, Nase und Kinn stachen deutlicher heraus, der sorgsam gestutzte schwarze Bart unterstrich die elegante Erscheinung. Zugleich wirkte er seltsam verletzlich. Sein Auge schimmerte feucht, der zarte Faltenkranz in den Augenwinkeln sprang auf. Was gäbe sie darum, ihm jetzt um den Hals fallen und ihn mit leidenschaftlichen Küssen überschütten zu dürfen! Die Sehnsucht zerriss ihr die Brust. Sie stolperte über einen groben Pflasterstein und fiel gegen seinen Arm. Unwillkürlich fasste er nach ihrer Hand, fing sie auf und hielt sie fest. Ihre Blicke trafen sich. Sie spürte seinen Atem auf ihrer Haut. Es durchzuckte sie wie ein Blitzschlag. Schon öffneten sich ihre Lippen, sie meinte, er beuge sich herab, sie zu küssen. Abrupt hielt er in der Bewegung inne. »Lass uns weitergehen. Das Haus meiner Muhme ist gleich in der nächsten Seitenstraße.«
Viel zu schnell ließ er sie los und drehte sich um.
»Nein!« Sie hielt ihn zurück.
»Was ist?« Verwundert sah er sie an.
»Was hast du deiner Muhme von mir erzählt? Für wen hält sie mich?«
»Keine Sorge, Liebste«, erwiderte er und fasste mit der Hand unter ihr Kinn, drehte ihr Gesicht zu sich. Behutsam strich er eine Strähne ihres glatten braunen Haars zurück. »Ich habe es dir vorhin schon gesagt: Meine Muhme ist eine gütige Frau. Du wirst sie mögen. Vertrau mir.«
»Das ist keine Antwort. Versteh doch bitte: Wie soll ich sie mögen, wenn sie mich für eine
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