Gold und Stein
fügte, als sie Agnes’ erschrockenen Blick bemerkte, rasch hinzu: »Das ist zwar sehr schade für dich, Liebes, aber gut für uns.«
»Weil du uns vom Brauen und den anderen Hausarbeiten befreist«, ergänzte Theres und reichte ihr das Päckchen mit den Borten.
»Geh nur schnell los, sonst wird es Mittag.« Marie schubste sie zur Tür. Ihr war nicht entgangen, wie seltsam Meister Friedrich Agnes angestarrt hatte.
»Vergiss den Brief an Mohr nicht«, ermahnte die Muhme. »Ich bin gleich fertig. Schenk nur rasch Meister Friedrich ein zweites Bier ein. Bis dahin bin ich so weit.«
Bei jedem Handgriff spürte Agnes den bohrenden Blick des Gastes auf sich ruhen. Sie bemühte sich, das Zittern ihrer Finger zu überspielen. Kaum gelang es ihr, das Bier aus der Kanne in den Becher zu gießen.
»Danke, verehrtes Fräulein«, sagte er und holte Luft, etwas hinzuzufügen, als die Muhme ihm zuvorkam: »Hier, Liebes, nimm das Schreiben und beeile dich, meine Aufträge auszuführen. Es ist bereits reichlich spät, und die Wege sind weit. Der gute Mohr wird mittags ungern gestört. Und Ihr, lieber Meister Friedrich«, wandte sie sich wieder dem Gast zu, »müsst mir jetzt unbedingt mehr von meinem Neffen erzählen. Sein Brief war sehr kurz. Er schreibt nur, dass er den Winter über auf der Marienburg bleiben muss. Umso mehr dränge ich auf Euren Bericht. Wenn der Hochmeister die Burg stärker befestigen lassen will, rechnet er dort also tatsächlich mit neuen Angriffen der Bündischen. Ach, hoffentlich kommt Laurenz im Frühjahr rechtzeitig dort weg! Sollte ihm etwas zustoßen, wäre das ein großes Unglück für mich!«
»Seid unbesorgt, gute Frau«, versicherte Meister Friedrich. Bevor er weitersprach, blickte er noch einmal stirnrunzelnd zu Agnes und räusperte sich. Agnes errötete.
»Gehabt Euch wohl«, murmelte sie, nahm sich die Borten sowie das Schreiben für den Bierbeschauer und eilte zur Tür. Kurz bevor sie zur Straße hinaustrat, hörte sie noch, wie Meister Friedrich zur Muhme sagte: »Eure Nichte verhält sich äußerst merkwürdig.«
Jäh hielt Agnes an und verbarg sich hinter dem Türflügel, um das Gespräch zu belauschen.
»Wie kommt Ihr darauf?«, erkundigte sich Agatha.
»Habt Ihr nicht bemerkt, wie eifrig sie versucht hat, Euch beim Lesen des Briefes von Laurenz über die Schulter zu linsen? Als Ihr gesagt habt, er bliebe den Winter über fort, ist sie leichenblass geworden. Da steckt doch mehr dahinter als die Sorge um den Vetter! Schon als ich sie und Euren Neffen von Pronitten aus in den Löbenicht begleitet habe, ist mir aufgefallen, wie sie ihn immerfort angeschaut hat, wenn sie dachte, ich merke es nicht. Ihr solltet auf der Hut sein, Streicherin! Sagt, von welcher Eurer Schwestern ist sie die Tochter? Ich kannte immer nur die Hebamme hier aus der Krummen Grube. Schade, dass Ihr mir bislang nie von einer anderen Schwester erzählt habt. Dabei kennen wir uns, seit ich Euren Neffen zu seinen Baustellen begleite.«
»Das ist eine sehr weit entfernte Familie«, erwiderte Agatha ausweichend. Zu gern hätte Agnes weiter gelauscht, doch die Muhme unterbrach sich und kam zur Tür, um sie zu schließen. Rasch raffte Agnes den Rock und eilte davon.
13
D as Wetter hatte vor einigen Tagen umgeschlagen. Unter heftigen Stürmen neigte sich der Sommer unweigerlich dem Ende zu. Erstes Laub wirbelte in den Gassen auf. Der Wind pfiff eisig um die Ecken. Agnes presste die Päckchen fest gegen die Brust und hob den Blick gen Himmel. Die Sonne verbarg sich hinter schweren, dunklen Wolken. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie ihre Last über der Stadt entluden. Wollte sie ihre Aufträge noch trockenen Fußes erledigen, musste sie sich sputen.
Auf den Straßen herrschte reger Betrieb. Bevor die kälteren, feuchten Herbsttage begannen, stürzten sich alle noch einmal in die Arbeit, um Lager und Vorratskammern zu füllen. Manch ein Brauer hatte verbotenerweise seinen Gärbottich zum Abkühlen vors Haus gestellt, daneben versuchten sich Hausfrauen im Anbieten von Suppe oder Gesottenem. Der Büttel würde seine Freude haben, wenn er die unerlaubten Feuerstellen erblickte. Bauersfrauen schoben sich mit vollgepackten Kiezen durch die Gassen. Die Obsternte war trotz der ungewöhnlichen Augusthitze üppig ausgefallen. Vor Winteranbruch galt es, die Früchte zu verkaufen. »Wollt Ihr kosten?« Ungefragt streckte eine Frau Agnes einen Apfel dicht vors Gesicht. Er duftete verführerisch. »Später vielleicht, ich muss
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