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Gold und Stein

Gold und Stein

Titel: Gold und Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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Natürlich kommt Ihr nicht meinetwegen. Den Brief könnt Ihr mir dalassen. Mohr ist den ganzen Tag auf dem Sackheim unterwegs. Erst zur Vesper wird er zurück sein.«
    Erleichtert atmete Agnes auf. »Gern.« Sie überreichte der Frau das Papier und wollte sich rasch verabschieden.
    »Sagt«, hielt die Frau sie an der Tür am Arm fest und sah sie von neuem eindringlich an, »kann es sein, dass Eure Mutter einmal hier im Löbenicht gelebt hat? Mir kommt Euer Gesicht so bekannt vor.«
    »Oh, sie wird einmal bei der Muhme zu Besuch gewesen sein«, antwortete Agnes, strich verlegen eine Strähne des braunen Haares zurück und senkte die bernsteinfarbenen Augen. »Wahrscheinlich seid Ihr einander bei dieser Gelegenheit begegnet. Die eine oder andere Ähnlichkeit zwischen der Muhme und mir gibt es natürlich auch. Seht nur, wie groß ich bin.«
    »Nein, nein. Wie eine aus der Familie der Streicherin seht Ihr ganz und gar nicht aus. Die kenne ich alle sehr gut. Eben drum hat es mich verwundert zu hören, dass mit Euch eine unbekannte Nichte aufgetaucht sein soll. Die Schwester Eurer Muhme hat mir bei all meinen Geburten als Wehmutter beigestanden. Einem Dutzend Kinder habe ich das Leben geschenkt. Daher rühren auch meine breiten Hüften.« Versonnen strich sie darüber. »Schon die Mutter der Streicherin hat meiner Mutter beim Gebären geholfen. Deshalb sind mir die Frauen aus der Krummen Grube alle bestens bekannt. Wenn Ihr nicht von der Streicherin geschickt worden wärt, hätte ich fast gedacht, Ihr habt etwas mit der unglücklichen Frau von Rudolf Kelletat zu tun. Habt Ihr von der schon einmal gehört?«
    Agnes wurde unbehaglich. Kaum wusste sie, wo sie hinschauen sollte.
    »Die Ärmste!«, fuhr Frau Mohr fort. »Blutjung war sie, als das Schicksal ihr den guten Mann von der Seite gerissen hat. Der Kelletat war ein hervorragender Böttchermeister, einer der besten weit und breit. Sämtliche Brauer hat er beliefert, sogar die Kreuzherren auf der Burg oberhalb der Altstadt. Von jetzt auf gleich ist er gestorben und hat die arme Frau mutterseelenallein mit ihrem hübschen Kind zurückgelassen. Man mag es nicht glauben, was manch einem an Prüfungen hier auf Erden zugedacht ist. Sie jedenfalls hat es arg getroffen. Kurz vor der Heirat mit dem Böttchermeister hat sie schon einmal viel Unbill erlitten.«
    »Wieso das?«, entfuhr es Agnes bestürzt.
    »Das sage ich Euch gern!« Der Mohr gefiel es, eine willige Zuhörerin gefunden zu haben. »Die arme Kelletatin hat ein unfassbar schweres Los gezogen. Ich weiß das, weil meine verstorbene Nachbarin damals Magd bei einer Familie in der Altstadt gewesen ist. Aus nächster Nähe hat sie es erlebt und mir erzählt. Stellt Euch vor, eigentlich ist die arme Kelletatin von weit her an den Pregel gekommen, um einen gut betuchten Kaufmannssohn zu heiraten. Als sie nach der beschwerlichen Reise endlich vor ihm stand, hatte der schon eine andere zur Frau genommen. Gibt es so etwas? Das arme Ding! Er hat wohl gedacht, sie käme nicht mehr, um ihn zu heiraten, und wollte die gute Partie nicht verpassen, die sich ihm zwischenzeitlich geboten hat. Die Ärmste ist daraufhin in den Löbenicht gegangen, wo der brave Kelletat sich ihrer erbarmt hat. Nur wenige Jahre vorher ist ihm die Frau im Kindbett gestorben, mitsamt dem Kleinen, und er konnte das Alleinsein kaum ertragen. Im Goldenen Hasen in der Altstadt ist er der Kelletatin zum ersten Mal begegnet. Meister Jörgen redet heute noch davon. Gleich hat Kelletat gewusst, dass sie ihn in seinem Kummer trösten könnte. Ein schönes Paar sind die beiden gewesen, trotz all des Leids, das sie zu tragen hatten, jeder auf seine Weise. Umso trauriger, dass ihrem Glück nur kurze Zeit beschieden war.«
    »Das ist eine schlimme Geschichte.« Agnes spürte, wie es ihr die Kehle zuschnürte. »Wisst Ihr noch, wer der Kaufmann war, den die Ärmste zuerst heiraten wollte? Lebt er etwa noch?«
    »Das nehme ich an, liebes Kind! So lange ist das alles schließlich auch nicht her. Er wird kaum die vierzig erreicht haben. Nur den Namen weiß ich leider nicht. Ach, es gibt drüben in der Altstadt einfach viel zu viele Kaufleute. Schade, denn an einen ordentlichen Handwerker, Krüger oder Brauer würde ich mich jederzeit erinnern. Aber diese hohen Herren, die sich für etwas Besseres halten, weil ihre Hände bei der Arbeit sauber bleiben, die vergesse ich immer gleich gern wieder. Es lohnt der Mühe nicht, sich länger mit ihnen zu beschäftigen, auch wenn mein

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