Gold und Stein
erst einiges erledigen«, wehrte Agnes ab und eilte weiter.
Fast wäre sie gegen einen Karren gestoßen, den ein Knecht aus einem Hoftor auf die Gasse schob. Im letzten Moment sprang sie beiseite. Dabei drohte ihr das kostbare Päckchen mit den Borten zu entgleiten. Geistesgegenwärtig schnappte sie es gerade rechtzeitig wieder auf. Nicht auszudenken, wenn die Borten im Dreck gelandet wären! Erbost wollte sie dem Burschen etwas hinterherrufen, da erstarrte sie. Eine Frau verschwand eilig in dem Tor, aus dem der Karren gekommen war. Agnes meinte, ihren Augen nicht zu trauen: Gunda! Das konnte nicht sein. Sie musste sich getäuscht haben. In wenigen Schritten stand sie an der Hausecke, spähte in den dunklen Hof. Niemand war zu sehen. Weiter hineinzugehen wagte sie nicht. Sie musste einer Täuschung aufgesessen sein. Der Kummer um Laurenz’ langes Fortbleiben vernebelte ihr das Hirn. Große, braunhaarige Frauen gab es in der Stadt zuhauf. Außerdem hatte Meister Friedrich von dem Siegestaumel in Wehlau berichtet. Nach dem Abzug der Kreuzherren würde es dort also gewiss zugehen wie auf dem Jahrmarkt. Das hieße, dass im Silbernen Hirschen jede Hand gebraucht wurde. Das Bier musste gebraut, die Gäste bewirtet werden. Undenkbar, dass Gunda ausgerechnet jetzt Wehlau verlassen würde. Noch dazu, da sie gar nicht wissen konnte, dass Agnes sich im Löbenicht aufhielt. Agathas und Meister Jörgens Erzählungen zufolge machte Gunda zeit ihres Lebens einen riesigen Bogen um die Stadt ihres größten Unglücks. Agnes atmete auf.
Am Rathaus auf dem Löbenichter Markt wehte die rote Marktfahne. Rund um den gewaltigen Mälzerbrunnen sowie auf dem länglichen Platz bis weit in die Langgasse hinüber waren Stände aufgeschlagen. Anders als in der benachbarten Altstadt oder im Kneiphof boten vor allem Krämer aus der näheren und weiteren Umgebung ihre kupfernen Töpfe und Kessel an, ausgefallene Waren fanden sich kaum. Daneben gab es Körbe in allen Größen, Fischernetze und Reußen sowie diverses Geschirr aus Holz. Das zog sogar Kundschaft aus den beiden anderen Königsberger Städten an. Selbst einige Ordensritter mischten sich neugierig unter das Volk, was die Krämer gelegentlich zu übertrieben unterwürfigem Gebaren verleitete. Agnes winkte dem Weber aus der Obergasse zu. Auch eine Bortenmacherin aus der Kohlgrube entdeckte sie. Direkt neben ihr pries ein Fremder Papier und abgeschabtes Pergament an. Viele Neugierige drängten sich um ihn, besahen sich dabei auch gleich die Borten auf dem Nachbartisch. Zufrieden stellte Agnes fest, um wie viel besser die der Muhme waren. Nur schade, dass sie keinen Verkaufsstand auf dem Markt unterhielt. Endlich erreichte Agnes das erste Haus, in dem sie eine Borte abzuliefern hatte. Bald waren alle Borten im Löbenicht bestellt, und es galt, den Bierbeschauer Mohr aufzusuchen, der nahe beim Tor zur Altstadt wohnte.
»Ihr seid also die berühmte Nichte der Streicherin. Wie schön, Euch einmal mit eigenen Augen zu sehen«, begrüßte Mohrs Frau sie fröhlich, kaum dass sie die Diele betreten hatte. Wie ihr Gemahl so war auch sie von kleiner Gestalt und erstaunlicher Leibesfülle. Neugierig sah sie Agnes aus ihren strahlenden Augen an. Ihr Gesicht war stark gerötet, sie keuchte wie nach großer Anstrengung. Gleich entdeckte Agnes den Grund dafür: Auf dem Tisch lag ein dicker Brotteig, den sie durchzuwalken hatte.
»Mein Mann hat mir viel von Euch erzählt«, plapperte die Frau und schob sie zu einem Schemel neben dem Tisch. Folgsam nahm sie darauf Platz, während die Gattin des Bierbeschauers weiterredete. »Vor allem schwärmt er davon, wie gut Ihr Euch auf das Brauen versteht. Welch glückliche Fügung für Eure Muhme! Viel zu viele hat sie mit dem bitteren Gebräu vergrätzt, das sie als Bier bezeichnet. Nur dem guten Willen meines Gemahls hat sie es zu verdanken, dass der Rat ihr überhaupt noch gestattet, das Braurecht auszuüben. Andere Brauer haben schon darauf gedrängt, ihr Brau zu übernehmen. Eure Muhme ist bislang stur geblieben, und mein Mann hat einfach ein zu gutes Herz. Schließlich hat er noch die Vorfahren aus der Krummen Grube gekannt. Die wussten alle einen ordentlichen Gerstensaft zu bereiten, deshalb hat mein lieber Mohr der Streicherin das Braurecht erhalten wollen. Wie recht er daran getan hat, zeigt sich jetzt.«
»Ich habe Eurem Gemahl ein Schreiben meiner Muhme zu bestellen«, nutzte Agnes die kleine Pause.
»Oh, da hätte ich gleich dran denken müssen!
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