Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gold und Stein

Gold und Stein

Titel: Gold und Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
Vom Netzwerk:
armer Mann deshalb immerzu mit mir schimpft.« Sie schüttelte den schweren Kopf. Dabei verrutschte ihr die Haube, und ihr fahles Haar wurde sichtbar.
    »Wozu grämen wir uns über alte Geschichten?« Fröhlich schaute sie zu Agnes auf. »Ihr seid noch so jung, liebes Kind! Da liegt das ganze Leben und vor allem alles Glück der Liebe noch vor Euch. Passt gut auf Euch auf, damit Euch das Schicksal allzeit gewogen bleibt. Ich wünsche es Euch von Herzen.«
    Überraschend entschlossen schob sie Agnes auf die Straße und verabschiedete sich knapp. Wieder auf der Langgasse, fiel es Agnes schwer, sich gegen den Strom der Leute zu behaupten. Sie war eine der wenigen, die in Richtung Altstadt unterwegs war. Zielstrebig drängten die Menschen von Westen her in die Stadt, schubsten beiseite, wer ihnen im Weg war. Als sie das Tor zur Altstadt endlich erreichte, atmete sie auf. Agathas Päckchen mit den Borten war schmaler geworden. Umso schwieriger war es gewesen, es in dem Trubel festzuhalten.
    »Seid Ihr sicher, in die richtige Richtung zu gehen, gutes Fräulein?« Eine der Torwachen versperrte ihr mit seiner Pike den Durchgang.
    »Natürlich.« Ihr Herz klopfte, sie presste das Päckchen an die Brust, tastete, ob das Halstuch richtig saß. »Ich muss in der Altstadt Botengänge für meine Muhme erledigen. Das ist die Agatha Streicherin aus der Krummen Grube. Hier seht, dieses Päckchen hat sie mir mitgegeben. Darin sind Borten, die ich zu verschiedenen Herrschaften bringen soll. Bitte lasst mich durch, sonst wird es zu spät.«
    Er zögerte, schaute auf das Päckchen. »Lass schon!«, knurrte sein Kamerad, der die Leute auf der anderen Torseite prüfte und dennoch des drohenden Ärgers in seinem Rücken gewahr geworden war. »Du hörst doch, wer sie schickt. In den letzten Wochen ist sie öfter in die Altstadt gekommen. Stell dir vor, eine der vornehmen Damen erhält deinetwegen ihre feine Borte nicht rechtzeitig. Dann will ich nicht in deiner Haut stecken.«
    »Trotzdem finde ich es seltsam. Heute will doch alle Welt zum Löbenichter Markt. Warum verkauft sie die Borten nicht dort? Siehst du ihr Halstuch und wie sie sich daran festklammert? Was, wenn sie darunter etwas verbirgt? Eine Krankheit in die Stadt schleppt? Vielleicht sollten wir besser nachsehen.«
    Er machte Anstalten, an ihr Tuch zu fassen. Agnes errötete. Der zweite Wachmann hielt ihn zurück »Schau nur genau hin, du Tölpel! Sie sieht völlig gesund aus. So schön, wie sie ist, verdeckt sie unter dem Tuch gewiss Spuren, die ihr der Liebste zugefügt hat. Oder hast du etwa vergessen, wie es des Nachts zwischen zwei Menschen zugehen kann?«
    Er lachte dreckig und stieß seinen Kameraden Zustimmung heischend in die Seite. Agnes wäre am liebsten vor Scham im Erdboden versunken. Der erste Wachmann schüttelte den Kopf, gab aber den Durchgang frei.
    Mit Schrecken bemerkte Agnes, welches Aufsehen der Zwischenfall erregt hatte. Seltsame Blicke trafen sie, als sie gesenkten Hauptes an der langen Schlange entlanglief. »Sieh dir die an!«, keifte eine Frau. »Was ist mit der?«, hörte sie eine andere fragen. »Hat wohl zu viel mit einem Burschen geturtelt«, erwiderte eine dritte.
    Agnes’ Wangen begannen zu glühen. Sie wollte nur noch weg von diesen Weibern und beschleunigte ihre Schritte, zwängte sich zwischen zwei breiten Rücken durch, schlüpfte an einer dürren Frau vorbei, warf einen hastigen Blick nach hinten zu den Klatschmäulern, stolperte, kippte nach vorn und ruderte hilflos mit den Armen. Jemand hatte ihr ein Bein gestellt. Aus den Augenwinkeln erspähte sie das hämische Grinsen einer Frau, die kaum älter als sie selbst war. Das Päckchen!, wollte sie rufen, doch es war zu spät.
    »Achtung!« Jemand sprang aus der Schlange der Wartenden und beeilte sich, das Päckchen aufzufangen. Dabei stolperte er ebenfalls und schlug der Länge nach hin. Agnes kam nicht mehr rechtzeitig zum Stehen. Hilflos fiel sie über ihn. »Oh Gott!«, entfuhr es ihr. Sie hatte Mühe, sich aufzurappeln. Die Ungeschicklichkeit war ihr peinlich. Betreten klopfte sie den Staub aus ihren Kleidern, wischte die Hände an dem dunkelgrünen Surkot sauber und wollte sich bei ihrem unbekannten Helfer bedanken.
    »Das wäre noch einmal gut gegangen!«, rief er fröhlich. Trotz des Sturzes und der beschmutzten Kleidung strahlte er übers ganze Gesicht, als er ihr die Borten reichte.
    »Danke Euch vielmals!« Mit einem Knicks fasste sie nach dem Päckchen, beäugte ihn dabei

Weitere Kostenlose Bücher