Gold und Stein
mit ihrer Liebe zu nahe rückte. Doch da war noch etwas anderes, Fremdes darin, das sie nicht entschlüsseln konnte. Zu allem Überfluss stieß ihr auch wieder der Höcker an der Nasenwurzel auf. Erneut verkrampfte sich ihr Unterleib.
»Komm, mein Junge, lass uns heimwärts gehen«, schlug sie hastig vor und hielt sich an seiner Hand fest. »Noch bist du bei mir. Das sollten wir genießen.«
»Wie du meinst.« Caspar schenkte ihr einen verwunderten Blick.
»Du hast völlig recht«, versuchte sie, von ihrer Unsicherheit abzulenken. »Wir sollten Spelmanns neidischem Gerede nicht zu viel Aufmerksamkeit schenken. Die Geschäfte mit dem Eibenholz laufen bestens. Solange unsere Bücher stimmen, kann es uns gleichgültig sein, was so ein dahergelaufener Hund wie er über Vaters Handel redet. Man muss ihn nur anschauen, schon weiß man, wie es um ihn bestellt ist. Nicht einmal neue Flicken für seinen fadenscheinigen Rock kann er sich leisten, geschweige denn einen Besuch im Badehaus.«
Zur Bekräftigung ihrer Worte kniff sie sich die Nase zu und wedelte mit der zweiten Hand durch die Luft. »Man sollte darauf bestehen, dass jeder Zunftgenosse mindestens einmal in der Woche ins Badehaus geht. Bei den Knechten und Mägden tut man das schließlich auch.«
Caspar sparte sich eine Erwiderung und schickte sich stattdessen an, seiner Mutter den Weg an den mehr als mannshohen Holzstapeln, wartenden Kaufleuten und Fuhrwerken vorbei quer über die Altstädter Holzwiese zur Brücke über den Neuen Pregel zu bahnen. Artig grüßte er nach rechts und links, winkte einem weiter entfernt stehenden Bekannten zu und erreichte schließlich das Flussufer.
Editha ließ sich bewusst etwas Zeit, um ihrem Sohn zu folgen. So konnte sie beobachten, wer von den Zunftgenossen genug Anstand besaß, den Siebzehnjährigen zuerst zu grüßen. Bei Gernots Abwesenheit galt er immerhin als der Vertreter einer der wichtigsten alteingesessenen Kaufmannsfamilien in den Königsberger Städten dies- und jenseits des Pregels. Einem Fischart aus der Altstadt gebührte in jeder Lebensphase Hochachtung. Ohnehin war ihr Caspars Tempo zu hoch. Bald nutzte es wenig, dass er voranging, um den Weg freizumachen. Bis sie auftauchte, hatte sich die von ihm gebahnte Gasse längst wieder geschlossen. Keuchend schob sie ihren gedrungenen Leib durch das Gedränge. Gelegentlich musste sie stehen bleiben und nach Luft schnappen. Versonnen strich sie sich über den Leib. Die Krämpfe hatten sich zum Glück gelegt. Wahrscheinlich wurde es ein Mädchen. Bei Mädchen, so hieß es doch, begannen die Beschwernisse schon sehr früh. Ach, was gäbe sie für eine Tochter! Schon sah sie vor sich, welch liebliches Geschöpf es sein würde. Wider Willen verlor sie über diesen Tagträumereien Caspar bald ganz aus den Augen. Suchend wanderte ihr Blick über die Menge. Von neuem erfasste sie Unruhe. Auch wenn sie wusste, ihn spätestens im Haus in der Altstädter Langgasse wiederzutreffen, fühlte sie sich mit einem Mal verloren.
16
E ndlich kam die Holzbrücke über den Neuen Pregel in Sicht. Editha meinte, Caspar auf der gegenüberliegenden Flussseite warten zu sehen. Erleichtert atmete sie auf und tupfte sich mit dem Stoff ihres weiten Glockenärmels die feuchte Stirn. Unglaublich, bei dem rauhen Wind überhaupt ins Schwitzen zu geraten! Sie äugte zum Himmel. Die Wolken schienen ihr dichter und dunkler geworden. Vorhin noch hätte sie sich am liebsten in einen Pelz gehüllt, jetzt war ihr schrecklich heiß. Wie wollte sie diese wechselvollen Zustände über Monate ertragen? Es half nichts. Sie musste wohl doch wieder Hermine Hundskötter um Beistand bitten. Zum Glück war Donnerstag und damit Zeit für ihren wöchentlichen Gang an den Laak. Zunächst aber hieß es, in die Altstadt zurückzukehren und mit Caspar zusammen die neue Holzlieferung in die Bücher einzutragen.
Sie raffte den Rock und drängte sich durch das Getümmel. »Hey! Nicht so hastig!«, rief ein Mann verärgert, dem sie unabsichtlich den Ellbogen in den Rücken stieß, als sie einem zweiten ausweichen wollte.
»Holy moly!«,
rief sie, weil ihr ein anderer mit voller Wucht auf die Füße trat. Beim Zurückspringen landete sie in einer Schlammpfütze. Gleich spürte sie das kalte Dreckwasser in die flachen Schuhe rinnen. Leichtsinnigerweise hatte sie die Trippen zu Hause gelassen.
Bald hatte sie den Brückenkopf passiert und erreichte die Altstädter Uferseite. Caspar war verschwunden. Verwirrt schaute sie umher.
Weitere Kostenlose Bücher