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Gold und Stein

Gold und Stein

Titel: Gold und Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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und entdeckte den innig geliebten Sohn tatsächlich an der nächsten Straßenecke. Er war nicht allein. Editha sparte sich den kurzen Blick zur Hundskötterin. Allein die Tatsache, wie all ihre Bosheit in der Betonung der Worte »lieber Sohn« mitschwang, verriet, dass die Hebamme genau wusste, wie bitter es ihr aufstieß, Caspar in vertrautem Gespräch mit einer unbekannten jungen Frau zu erspähen. Unheilvolles ahnend, näherte sie sich den beiden, wobei sie die Fremde unauffällig zu mustern versuchte.
    Das Fräulein mochte etwa das gleiche Alter haben wie er. Ebenso stand sie ihm auch von der Größe her kaum nach. Dafür aber war ihre Statur weitaus zierlicher. Die Brust war noch jungfräulich flach und zeichnete sich unter dem dunkelroten Surkot kaum ab. Ihr Gebaren sprach allerdings bis in die kleinste Regung die Sprache einer Frau, die genau wusste, welche Wirkung sie auf ihr männliches Gegenüber besaß. Edithas Augen wanderten noch einmal prüfend die gesamte Erscheinung entlang. Das glatte braune Haar hatte sie zu strengen Schnecken über den Ohren frisiert. Soweit Editha das aus der Ferne erkennen konnte, war ihr Gesicht ebenmäßig, der Hals lang und schlank. Editha sah genauer hin: Um den Hals trug die Unbekannte ein helles Tuch, dessen Enden artig auf die Brust fielen. Während des Gesprächs mit Caspar wanderten ihre Finger immer wieder dorthin und nestelten daran, als gelte es, etwas darunter zu verbergen. Bei der Beobachtung stockte Editha der Atem. Caspar neigte zu exakt demselben Gebaren!
    »Geben die beiden nicht ein wunderschönes Paar ab?«, flötete die Hundskötterin begeistert. »Euer Caspar ist ein ansehnlicher Bursche. Mit Verlaub«, fügte sie mit einem hinterlistigen Schmunzeln hinzu, »mit Abstand betrachtet, hat er von der Statur her wenig mit Euch gemein. Auch rührt so mancher Zug in seinem Antlitz gar nicht aus der Fischartschen Linie, dessen bin ich mir als erfahrene Wehmutter gewiss. Wer weiß, welch unbekanntes Erbe sich in der weitläufigen Ahnenreihe auftut. Auffällig ist in jedem Fall, wie gut er zu dieser hochgewachsenen, unbekannten Schönheit passt. Die beiden scheinen füreinander bestimmt. Lasst uns noch näher herangehen, meine Liebe. Der Anblick ist einfach gar zu schön.«
    Ehe Editha ein wütendes
»shut up, you blasted old shrew!«
ausstoßen konnte, hatte die Hundskötterin sie bis auf wenige Schritte zu Caspar und der Unbekannten gezerrt. Je länger Editha im Schutz zweier dicker Mägde das Mädchen an der Seite ihres Sohnes anschaute, desto übler wurde ihr. Wie konnte Caspar ihr das nur antun?
    »Ach wie hübsch!«, erging sich die Hundskötterin weiter in ihrer Schwärmerei. »Das Fräulein trägt auch ein helles Halstuch um den langen, schlanken Hals, genau wie Euer Sohn. Und seht nur, wie sie immer wieder mit den Fingern daran fasst, um es auszurichten. Fast könnte man meinen, auch sie habe im Nacken ein auffälliges Feuermal zu verbergen. Das kennen wir von Eurem lieben Caspar und Eurem Gemahl nur zu gut, nicht wahr, meine Liebe?«
    Wie dumpfe Schläge dröhnten die Worte in Edithas Schädel. Ihr wurde schwindlig, die Übelkeit bahnte sich ihren Weg. Mühsam schluckte sie bittere Galle hinunter. Zugleich erfasste sie Trotz. So schnell wollte sie vor der Hebamme nicht aufgeben. Jäh reckte sie das Kinn und betrachtete Caspar und die Fremde noch einmal genauer. Da sie inzwischen fast auf Armlänge bei den beiden stand, erkannte sie die Gesichtszüge der jungen Frau besser. Sie stockte. Die Ähnlichkeit war verblüffend. Und nicht allein die Ähnlichkeit mit Caspar und Gernot. Das Bild einer anderen Frau schob sich Editha vor Augen, das Bild einer Frau, die sie zeit ihres Lebens nicht mehr wiedersehen wollte.
    For God’s sake!
Ihre elende Angst war also gerechtfertigt: Gunda steckte hinter Gernots Wehlauer Geschäften. Offenbar genügte es ihr jedoch nicht, ihn damit bei seinen Königsberger Zunftgenossen in Misskredit zu bringen. Sie schickte auch noch das Mädchen vor, um sich Caspars zu bemächtigen. Jetzt war es nur eine Frage der Zeit, bis sie selbst am Pregel auftauchte, Caspar von Edithas Seite riss und sie alle in den Abgrund stürzte. Editha hatte gehofft, das niemals erleben zu müssen. Doch des Schicksals Gnade war im Begriff, sich endgültig von ihr abzuwenden.
    Ein neuerlicher Krampf im Leib hieß sie, sich zusammenzukrümmen. Ein schwarzer Vorhang schob sich vor ihre Augen. Sie kippte ins Bodenlose. Das Letzte, was sie wahrnahm, bevor sie auf

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