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Gold und Stein

Gold und Stein

Titel: Gold und Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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grummelte. Sie beschleunigte die Besenschwünge und erreichte den Hofeingang. Dort drückte sich eine Taube mit aufgeplustertem Gefieder in eine Ecke. Das blaugraue Federkleid hatte jeglichen Glanz verloren. Auf den ersten Blick war zu erkennen, dass das Tier krank war. »Was ist mit dir?« Vorsichtig beugte sie sich zu dem verängstigten Vogel hinunter und streckte die Hand aus. »Lass mich schauen, was dir fehlt.«
    »Ganz meine Tochter!«
    Jäh fuhr Agnes auf. Die Stimme war ihr vertrauter als jede andere. Von der abrupten Bewegung verschreckt, flatterte die Taube wild mit den Flügeln. Besorgt wandte Agnes sich ihr wieder zu. Verängstigt hatte sich das Tier in den hintersten Winkel des Eingangs zurückgezogen und hackte mit dem Schnabel nach ihr, sobald sie sich mit den Fingern näherte.
    »Lass die Taube. Du kannst nichts für sie tun. Früher oder später landet sie ohnehin in der Pfanne.«
    Wieder hörte sie Gundas Stimme dicht hinter sich. Sosehr sie es wünschte, wusste sie doch, es war keine Täuschung. Zögernd richtete sie sich auf und drehte sich um. Die Mutter betrachtete sie lächelnd. Agnes zauderte. Wo war der Zorn über Agnes’ Aufbegehren, die Wut darüber, dass sie mit Laurenz davongerannt war, statt sich in die von ihr eingefädelte Heirat mit Kollmann zu fügen?
    »Was machst du hier?«
    »Das könnte ich dich auch fragen.«
    Gundas Ton blieb liebevoll. Das verwunderte Agnes noch mehr. Sie musterte Gunda. Die schlanke, hochaufgeschossene Frau hatte sich stark verändert: Das Gesicht war schmaler geworden, die Wangen eingefallen. Das kupferbraune Haar, das unter der hellen Flügelhaube hervorlugte, wirkte stumpf, wie auch die rehbraunen Augen an Glanz verloren hatten. Die Wochen der Belagerung hatten Spuren hinterlassen. Angst überkam Agnes: Was mochte Gundas Auftauchen bedeuten? Wie war es Großmutter Lore ergangen? Weiterhin umspielte ein Lächeln Gundas Mundwinkel, aufmunternd hob sie die Arme. Agnes begriff und warf sich ihr aufschluchzend gegen die Brust.
    Geraume Zeit standen sie eng umschlungen vor Agathas Hoftor, versunken in das Gefühl, einander nah zu sein wie seit Jahren nicht.
    »Keine Angst, Liebes!« Gunda befreite sich aus der Umarmung, fasste sie an den Händen und suchte ihren Blick. »Ich bin gekommen, um mich mit dir auszusöhnen. Es tut mir leid, dass du davongelaufen bist. Dabei wollte ich nur dein Bestes.«
    »Mein Bestes?«
Ungläubig wiederholte Agnes die letzten Worte. Die seltene Vertrautheit endete so abrupt, wie sie begonnen hatte. »Deshalb soll ich den grässlichen Kollmann heiraten? Wenn du dir einbildest, ich käme zurück, weil du dir das Schimpfen verkneifst, dann irrst du dich. Ich bleibe hier!«
    Sie riss sich los und verschränkte die Arme vor der Brust.
    »Hab keine Angst, Liebes. Ich zwinge dich nicht, mit mir zurück nach Wehlau zu gehen. Wenn du möchtest, kannst du noch eine Weile hier im Löbenicht bleiben. Ich habe Kollmann Bescheid gegeben, dass du ihn nicht heiraten wirst.«
    »So?« Agnes blieb wachsam.
    »Er ist sehr traurig. Er mag dich wirklich.«
    Agnes war verwirrt. So recht wurde sie nicht schlau aus Gundas Verhalten. Sie schien wirklich darum bemüht, ihren Frieden mit ihr zu machen. Das konnte nur eins bedeuten: Lore hatte sie endlich überzeugt! Agnes schmunzelte bei der Vorstellung, wie entschlossen Lore ihre Tochter bei der erstbesten Gelegenheit nach der Belagerung fortgeschickt haben musste.
    »Mich hier zu suchen war Großmutters Vorschlag, nicht wahr? Sie hat dich überredet, die Heirat mit Kollmann abzusagen, wenn ich ihn nicht will.«
    »In gewisser Weise ja.« Unendlich langsam sprach Gunda das aus. Agnes erschrak. Da war noch etwas anderes. Auf Gundas Antlitz lag mehr als nur die Spuren wochenlangen Hungers. Ein Gedanke fraß sich in ihren Kopf, den sie nicht denken wollte. Es kostete sie alle Kraft der Welt, sich ihm zu widersetzen. Von weit her drangen Gundas Worte an ihr Ohr.
    »Ich bitte dich um Verzeihung, Liebes. Ich wünsche mir so sehr, dass du mit mir nach Hause kommst. Wenn dein Herz an Laurenz hängt, so will ich mich nicht …«
    »Nein!«, stieß Agnes im selben Moment aus. Sie ballte die Hände zu Fäusten und rang nach Luft.
    »Ich dachte, du liebst ihn?« Erstaunt schaute Gunda sie an. »Bist du nicht seinetwegen aus Wehlau …«
    »Nein!«, wiederholte Agnes noch einmal. Längst standen ihr Tränen in den Augen. Sie senkte den Kopf. Die Taube lag reglos zu ihren Füßen. Schon lauerte die Katze des

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