Gold und Stein
Gürtlermeisters wenige Schritte entfernt, um sich die Beute zu schnappen.
»Ich kann nicht länger hier im Löbenicht bleiben«, hörte sie Gunda sagen. Sacht rüttelte sie sie am Arm. »Du findest mich in der Kneiphöfer Fleischbänkengasse, nur wenige Häuser vom Domplatz entfernt. Ich wohne bei Rehbinder.«
Kaum hatte sie den Namen ausgesprochen, war Agnes auf einmal wieder hellwach. Rehbinder, natürlich! Schon letztens, als Caspar von den Geschäften seines Vaters erzählt hatte, hätte sie darauf kommen müssen: In Gundas Gesprächen mit Rehbinder war der Name Fischart gefallen. Das war der Kaufmann, den Gunda mit Rehbinders Hilfe in Geschäfte verwickelt hatte. Es hatte ganz den Anschein, als führte sie etwas gegen Fischart persönlich im Schilde. Was mochte das sein? Woher kannte sie ihn überhaupt? Grübelnd sah Agnes an der Mutter vorbei die Krumme Grube hinunter. An der Ecke zum Markt meinte sie, die Frau des Bierbeschauers Mohr zu erspähen. Hatte die ihr nicht von einer Verlobung Gundas mit einem jungen Kaufmann aus der Altstadt erzählt? Dabei konnte es sich um Caspars Vater gehandelt haben. Vom Alter her käme es wohl hin. Seinetwegen waren Großmutter Lore, Ewald und die Mutter von Dortmund nach Königsberg gereist, nicht Kelletats wegen. Plante Gunda etwa, sich mit dem Handel für die geplatzte Heirat zu rächen? Gab sie Fischart die Schuld am Überfall und Ewalds grausamen Tod? Wieso aber flammten ihre Rachegelüste erst nach all den Jahren so stark auf?
»Was hast du eigentlich vor?«, fragte sie harsch. »Bist du immer noch dabei, mit Rehbinders Hilfe diesen Fischart aufs Kreuz zu legen? Musst du deshalb gleich wieder fort?«
»Was redest du da?« Für einen kurzen Moment flackerte ungezügelte Wut auf Gundas Antlitz auf, verschwand alsbald wieder hinter einem milden Lächeln. »Agnes, Liebes, wie kommst du darauf, ich wollte jemanden aufs Kreuz legen? Noch dazu mit Rehbinders Hilfe? Schlimm genug, dass du mir so etwas zutraust. Rehbinder ist ein durch und durch ehrenwerter Kaufmann. Du warst doch dabei, als ich mit ihm über die Eibenholzlieferung aus Litauen gesprochen habe. Da ist alles mit rechten Dingen zugegangen. Fischart hat dadurch sogar einen großen Vorteil gewonnen. Ich habe ihm einen besonders guten Preis geboten, so dass er gegenüber seinen hiesigen Zunftgenossen einen nicht unerheblichen Vorsprung im Handel mit den Engländern genießen wird. Nächstes Jahr will er das Geschäft weiter ausbauen. Am besten gehst du gleich mit und fragst Rehbinder. Er wird dir das alles gern bestätigen.«
Über ihren Worten wurde Agnes kleinlaut. Das hörte sich einleuchtend an. Noch dazu machte Caspar nicht den Anschein, als befände sich sein Vater in Schwierigkeiten. Sonst wäre er niemals nach Riga gereist und hätte dem Siebzehnjährigen die Verantwortung für die Geschäfte aufgebürdet.
»Worauf wartest du, Kind?«, hakte die Mutter nach. Unruhig sah sie wieder die Gasse entlang. »Ich muss wirklich los. Kommst du mit?«
Gundas Ton wurde drängender, ihre Miene verfinsterte sich. Agnes meinte gar, Furcht in ihren Augen aufblitzen zu sehen. Auf einmal schwante ihr, warum.
»Du willst hier nicht gesehen werden, nicht wahr? Du hast Angst, dass dich einer im Löbenicht erkennt, so wie Laurenz dich damals im Frühjahr auf dem Wehlauer Markt erkannt hat. Was aber ist so schlimm daran, dass jemand von Gunda Kelletats Rückkehr erfährt? Du hast doch nichts zu verbergen. An Kelletats plötzlichem Tod trifft dich keine Schuld. Der arme Mann hat dir nur Gutes getan. Immerhin hat er dich nach der geplatzten Verlobung mit Fischart geheiratet. Oder hängt es mit dem Verschwinden des kleinen Jungen zusammen, den du am selben Tag wie mich geboren hast? Heißt es nicht, eine Frau, die zwei Kinder am selben Tag …«
»Halt den Mund!« Ehe Agnes sich’s versah, versetzte Gunda ihr eine schallende Maulschelle. Erschrocken presste sie sich die Hand auf die schmerzende Wange. Gundas rehbraune Augen funkelten vor Zorn. Der Wunsch nach Aussöhnung war vergessen. »Was haben sie dir hier über mich erzählt? Hat Laurenz’ Mutter dir das mit den Zwillingen gesagt? Hat sie etwa auch behauptet, ich hätte den armen Kelletat auf dem Gewissen?«
»Hast du deshalb Angst, gesehen zu werden?«
Gunda setzte zu einer Erwiderung an, stockte. Plötzlich flackerte Furcht in ihren Augen. In Agnes regte sich Mitleid. Die Bierbeschauerin hatte Gunda ein »armes Ding« genannt. Agathas Schilderung kam ihr in den
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