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Gold und Stein

Gold und Stein

Titel: Gold und Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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abenteuerliches Duftgemisch von süßlich zart bis bitter und würzig. Editha schnappte nach Luft. Wenn sie das alles noch länger einatmete, drohten ihr die Sinne zu schwinden. Sie atmete flacher und ließ den Blick wandern zu dem gewaltigen Tresor, hinter dessen Türen sich weitere Gefäße mit zerstoßenen Insekten, Käfern, Spinnen, Heilpflanzen, Steinen und mitunter sogar Knochen und ähnlichen Absonderlichkeiten befanden. Fahrig strich sie eine Strähne ihres aschblonden Haares unter die Flügelhaube, fuhr mit den Fingern über die schweißnasse Stirn, während sie weiter auf das dunkle Holz des Möbels starrte.
    Wie zufällig stellte sich Hermine Hundskötter davor, verdeckte mit ihrem breiten Kreuz beide Türflügel. Enttäuscht wandte Editha sich ab. In einer abgeschiedenen Ecke meinte sie, ein durchsichtiges Gefäß mit einer Alraune zu erspähen. Es handelte sich um ein besonders eindrucksvolles Exemplar. Edithas Mund entschlüpfte ein anerkennender Pfiff. Als die Hundskötterin Edithas neugierigen Blick gewahrte, löste sie sich von ihrem Platz vor dem Tresor und setzte sich in ihre Richtung in Bewegung. Im Vorbeigehen zog sie scheinbar achtlos ein Tuch über die Alraune.
    »Wie schön, dass Ihr den Weg zu mir gefunden habt, liebe Fischartin. Seit Ihr letzte Woche an der Holzbrücke vor meinen Augen so elend zusammengebrochen seid, mache ich mir ernsthaft Sorgen um Euch.«
    Blasted old shrew!
Warum grinste sie so unverschämt und stierte ihr unverhohlen auf den Unterleib? Nur zu gut wusste sie, wie ungern Editha an die Entdeckung nahe der Holzbrücke erinnert wurde. Obendrein hatte die Hundskötterin ihr bereits dort zu verstehen gegeben, dass sie das Fräulein an Caspars Seite ebenfalls erkannt und die heraufziehende Gefahr begriffen hatte. Was aber wusste die räudige Betrügerin von ihrer Schwangerschaft? Editha hatte alles unternommen, sie vor ihr geheim zu halten. Seit ihrer Begegnung an der Holzbrücke stand für sie fest: Nie und nimmer wollte sie die bärbeißige Tölpelin mit ihren unwürdigen Pranken noch einmal an ihren entblößten Leib lassen, geschweige denn, sie das Frischgeborene als Erste anfassen und mit ihrem fauligen Atem für alle Zeit verfluchen lassen. Denn dieses Mal, dessen war Editha sich gewiss, würde das Kind gesund das Licht der Welt erblicken. Dieses eine und höchstwahrscheinlich letzte Mal, da sie die Frucht ihrer unbändigen Liebe zu Gernot unter dem Herzen trug, würde nichts schiefgehen. Ein Mädchen würde es werden, schön, zart und rein wie ihre Liebe zu Gernot, die sie seit Jahrzehnten fern von ihrer Heimat hielt. Unwillkürlich hielt sie die Luft an, um ihren Leib dünner aussehen zu lassen. Hermine Hundskötter bluffte. Sie konnte nicht das Geringste ahnen. Viel zu umsichtig war Editha vorgegangen. Die alte Gutloff, die sie sich vor wenigen Tagen als neue Wehmutter auserkoren hatte, hatte ihr bei der Heiligen Jungfrau Maria sowie sämtlichen Toten ihrer Familie schwören müssen, niemandem ein Sterbenswörtchen zu verraten. Da sie bei den Beginen am Kneiphöfer Dom lebte, war Editha sicher, dass sie der Hundskötterin so gut wie nie begegnete. Ebenso wenig hatte die Hundskötterin etwas von Edithas Besuchen bei der Begine beobachten können, hatte sie doch stets dafür Sorge getragen, sie unter dem Deckmantel einer geschäftlichen Angelegenheit im Kneiphof zu erledigen. Selbst Caspar und die pfiffige Anna ahnten nichts vom Zweck ihrer Gänge.
    »Habt Ihr inzwischen Nachricht, ob Euer Gemahl wohlbehalten in Riga eingetroffen ist?«, säuselte Hermine Hundskötter. »Eigentlich sollte er längst dort sein und einen Boten beauftragt haben, Euch Meldung zu machen. So spät im Jahr ist eine derartige Unternehmung ein mutiger Entschluss, gerade in Zeiten wie diesen. Übles Volk und herrenlose Söldner sollen sich allerorten auf der Strecke herumtreiben. Euren Gemahl müssen ganz besondere Gründe bewogen haben, sich der gefährlichen Reise auszusetzen. Wollen wir hoffen, der Preis dafür ist nicht zu hoch.«
    Sie verzog die wulstigen Lippen zu einem schiefen Lächeln. Vermaledeite Klepperin! Wütend ballte Editha die kleinen Hände in ihrem Schoß zu Fäusten, bis die Knöchel weiß wurden und die Fingerkuppen taub. Was gäbe sie darum, der gerissenen Metze auf der Stelle das sündige Maul stopfen zu dürfen! Die Wehmutter grinste sie weiter an. »Ihr dauert mich so, Fischartin! Ausgerechnet jetzt seid Ihr wieder gesegneten Leibes.«
    Ein viel zu kräftiger Schlag ihrer

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