Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gold und Stein

Gold und Stein

Titel: Gold und Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
Vom Netzwerk:
schwer zu sein. Ein scharfer Geruch nach harter Arbeit, vermischt mit dem nach kostspieligen Gewürzen und seltenen Kräutern erfüllte den dämmrigen Raum. Nur eine Handvoll halbrunder Fenster schenkte spärliches Licht. Die Dicke der Mauern, auf denen die oberen Geschosse des Hauses ruhten, war an den tiefen Fensterstürzen gut zu erkennen.
    Wo Caspar wohl steckte? Agnes suchte nach einer Tür, hinter der sich ein weiterer Raum verbergen mochte. Da schlurfte die Alte wieder heran. Die Holzpantinen klackten laut vernehmlich auf der hölzernen Treppe. Am unteren Absatz verharrte die bucklige Frau und winkte Agnes hinauf. Im ersten Stock folgte sie der Weißhaarigen in eine vornehm eingerichtete, mit dunklem Holz getäfelte Stube. Sofort fiel ihr Blick auf einen leeren Vogelbauer vor den Fenstern.
    »Gott zum Gruße, fremdes Fräulein.« Eine pummelige Frau erhob sich von einem Stuhl an der Stirnseite einer langen Tafel und kam näher. Das musste die Fischartin sein. »So seid Ihr also die tüchtige Bierbrauerin aus dem Löbenicht.«
    Die Fischartin sprach mit vollem Mund, kaute nach jeder Silbe genüsslich weiter. »Wisst Ihr, dass auf unserem Haus auch das Braurecht liegt? Leider versteht sich keiner von uns auf diese Kunst, so hat mein lieber Gemahl sein Brau an andere Brauer in der Stadt verkauft.«
    Sie griff nach dem Becher, hob ihn an, als wollte sie Agnes zuprosten, und nahm einen herzhaften Schluck, bevor sie ihn beiseitestellte und sich eine dicke Pflaume zwischen die Lippen schob. Auf dem Tisch standen Schalen mit süß duftendem Mus, in einem Korb lagen verschiedene Sorten Brot und anderes Backwerk. Eine üppig mit frischem Obst gefüllte Platte und eine Kanne Bier rundeten das Gedeck ab. Mit einem Zipfel ihres Surkots tupfte sich die Fischartin die Mundwinkel und fuhr mit der Zunge mehrmals über die vorderen Zähne, um sie von letzten Resten zu säubern. Die ganze Zeit ruhte ihr Blick wachsam auf Agnes.
»Holy cow«,
grummelte sie in ihr Doppelkinn.
    Das klang zwar alles andere als bedrohlich, dennoch fühlte sich Agnes unbehaglich. Die blauen Augen saugten sich geradezu auf ihrem Hals fest. Als sie die Hand hob, um sich zu vergewissern, dass das Tuch das verräterische Mal richtig bedeckte, meinte sie gar, ein leichtes Erschrecken auf dem Antlitz der Fischartin zu erkennen.
    Auf den ersten Blick stand fest: Caspar hatte nicht die geringste Ähnlichkeit mit seiner Mutter. Allenfalls die Freude am Essen mochten sie teilen, zeigten sie beide doch eine deutliche Neigung zu einer fülligen Leibesmitte. Saß der dickliche Bauch bei Caspar jedoch auf dünnen, verhältnismäßig langen Beinen, so schien an der Fischartin alles kurz und rundlich zu sein. Lediglich das apfelrunde Gesicht hatte sie durch das strenge Zupfen der Stirnhaare nach oben verlängert, was auch die schmalen, mit einem viel zu dunklen Kohlestift nachgezogenen Augenbrauen unterstrichen. Das aschblonde Haar verschwand nahezu vollständig unter einer hellen Hörnerhaube. Sobald sie die Lippen zu einem Lächeln öffnete, wurde Agnes ihrer schlechten Zähne gewahr. Die vielen Naschereien forderten ihren Tribut.
    »Was führt Euch zu mir?« Die Fischartin bemühte sich um einen zuvorkommenden Ton.
    »Meine Muhme schickt mich, Euch die bestellten Borten zu bringen«, streckte Agnes ihr das Päckchen entgegen.
    »Eure Muhme?
For heaven’s sake,
wieso Eure Muhme?«, fragte die Fischartin unwirsch und kniff die Augen zusammen, musterte Agnes abermals von oben bis unten. Zugleich nestelte sie ungeduldig an der Schnur, mit der Agatha das schützende Leinen um die kostbaren Bänder befestigt hatte. Ihre Finger waren dick und ungeschickt.
    »Darf ich?« Flink nahm Agnes das Päckchen wieder an sich und entknotete es im Handumdrehen, um der verblüfften Fischartin sodann die kunstvoll gewebten und reich bestickten Borten auf flachen Händen zu reichen.
    »Good grief!«
Die Fischartin schlug die Hände vor den Mund. Ihre kleinen Hände zitterten, als sie die Stücke vorsichtig in die Hand nahm und sie von allen Seiten ausgiebig betrachtete.
    »Die Streicherin ist
Eure
Muhme? Wie kommt das?«, murmelte sie und schüttelte ungläubig den Kopf.
»Holy moly!«
    »Ich sehe, die Bänder gefallen Euch«, stellte Agnes fest. »Dann werde ich meiner Muhme ausrichten, dass Ihr …«
    »Wait!«
Blitzschnell ergriff die Fischartin ihr Handgelenk und umklammerte es, bis Agnes vor Schmerz leise aufstöhnte. Nah zwang die Fischartin sie zu sich heran. Ihr Atem roch

Weitere Kostenlose Bücher