Gold und Stein
großen Hand landete auf Edithas Schultern. Wie eine arme Sünderin vor dem Beichtstuhl hockte sie mit rundem Buckel auf dem unbequemen Schemel. Nun begriff sie, warum die Hundskötterin ihr das klapprige Stück bei ihrem Eintritt zum Sitzen angeboten hatte. Mit der klobigen Hand auf der Schulter war sie unfähig, sich gerade aufzurichten. In Demutshaltung musste sie das falsche Lächeln der Hebamme ertragen. Sie wollte zu einer Erwiderung ansetzen, doch die Hundskötterin gebot ihr Einhalt. »Aber, aber, meine Liebe! Regt Euch nicht auf. Das tut Euch und Eurem Kind nicht wohl. Gerade in Eurem Alter und mit Eurem bisherigen Schicksal müsst Ihr alles tun, um Aufregungen zu vermeiden. Wir wollen doch nichts unversucht lassen, dass Ihr dieses Mal bis zur Niederkunft durchhaltet. Was wäre das für eine Freude! Bis dahin liegt ein beschwerlicher Weg vor Euch. Verzeiht, wenn ich es Euch so ehrlich sage, aber in Eurem Alter wird Euch wohl kaum noch einmal eine weitere Möglichkeit beschieden sein, ein gesundes Kind zur Welt zu bringen. Gerade nach den vielen unglücklichen Missgeburten, die Ihr in den letzten Jahren zu erdulden hattet, ganz zu schweigen von dem bei Euch ohnehin schwierigen Unterfangen, überhaupt ein Kind aus den gesunden Lenden Eures Ehegatten zu empfangen. Wie soll das erst werden, wenn Euer Gemahl künftig wieder öfter auf gefährlichen Reisen unterwegs ist?«
Silly shrew!
Editha ärgerte sich über sich selbst. Wie hatte sie so einfältig sein können, sich trotz ihres Zustands zur Hundskötterin zu wagen? Es kam einfach zu vieles zusammen: die neuerliche Schwangerschaft, Gernots unvorhergesehene Abreise, Caspars unglückselige Verliebtheit, das Auftauchen von Gundas Tochter und nun auch noch Hermines unverhohlene Schadenfreude. Erneut ballte sie die Hände zu Fäusten.
»Angesichts Eurer Lage verstehe ich, dass Ihr den Rat einer zweiten Wehmutter hinzuziehen wollt«, fuhr die Hundskötterin unbarmherzig fort. »Wenn ich selbst auch gewaltige Enttäuschung empfinde, dass Ihr mir nach all den Jahren und nach allem, was wir gemeinsam durchlitten haben, nicht mehr vollauf zu vertrauen scheint. Doch der Gutloff aus dem Kneiphöfer Beginenhaus eilt, wie jedermann weiß, ein ganz besonderer Ruf voraus. Aus Heiligenbeil stammt sie, heißt es, und lebt seit gut zehn Jahren hier bei uns am Pregel. Vielen, vielen Kindern hat sie auf die Welt geholfen. Der halbe Kneiphof muss bei ihr entbunden haben. Dass das Glück ihr bei uns hier in Königsberg so hold ist, freut mich ganz besonders für sie.«
Von neuem unterbrach sie ihren Redefluss, tätschelte zärtlich Edithas Schulter und richtete den Blick andächtig in die Ferne. Auf einmal faltete sie die Hände wie zum Gebet vor dem weit ausladenden Busen.
Heaven forbid,
was kam nun schon wieder? Editha stemmte sich die Hände stützend in die schmerzenden Lendenwirbel. Widerwillig musste sie sich eingestehen, dass sie ihre achtunddreißig Jahre nie zuvor so deutlich gespürt hatte wie in diesem Moment.
In sanftem Ton redete Hermine Hundskötter weiter: »Der heilige Pantaleon schenkt der braven Gutloff also endlich wieder seine Gnade. Nach Dutzenden unerklärlicher Fehl- und Missgeburten, denen die Unglückliche in ihrer früheren Heimat wehrlos beiwohnen musste, ist es an der Zeit gewesen, dass die Ärmste wieder Leben schenkt, statt Leben zu verderben oder gar zu vernichten. Ihr tut also sehr gut daran, Euch in ihre Hände zu begeben. In Eurem schweren Fall mit all den erlittenen Zwischenfällen wird sie an Euch ihre Bewährungsprobe zu bestehen haben. Das wird sie mit wahrer Hingabe tun! Die heilige Margareta sei mit Euch und der Gutloff. Gleich nachher werde ich eine Kerze für Euer Wohl entzünden und fünf Ave-Maria außer der Reihe beten.«
Andächtig küsste sie die gefalteten Fingerspitzen und verweilte in der Haltung, als betete sie bereits die erste Runde.
»Was, meine Liebe, aber kann ich noch für Euch tun?«, fragte sie schließlich unschuldig lächelnd. »Angesichts der Tatsache, dass Euer Gemahl in Riga weilt und Ihr Euch seit einigen Wochen eines gesegneten Leibes erfreut, sehe ich mich zum ersten Mal seit fast achtzehn Jahren am vorläufigen Ende meiner Dienste für Euch angelangt. Und was das andere anbetrifft, was uns noch zusammenschweißt, so seid gewiss, dass Ihr auf mein …«
»For heaven’s sake!«
Wie von einer Biene gestochen, fuhr Editha auf und ergriff die riesigen Hände der Hebamme, die schon so viel Leben geschenkt hatten.
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