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Gold und Stein

Gold und Stein

Titel: Gold und Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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bitter. Zugleich gewahrte Agnes den zarten Duft von Rosenöl, mit dem sich die Fischartin reichlich benetzt hatte.
    »Verratet mir erst, wie es kommt, dass die Streicherin aus der Krummen Grube Eure Muhme sein soll«, verlangte die Fischartin. »Eure Mutter stammt doch aus …«
    »Wie soll das wohl kommen, liebste Mutter?« Caspars wohltuende Stimme erlöste Agnes aus der unangenehmen Lage. Überrascht gab die Fischartin sie frei.
    »Bei einer Muhme handelt es sich gemeinhin entweder um die Schwester der Mutter oder um die Frau des mütterlichen Bruders«, erklärte er ruhig.
    »Shut up!«,
herrschte die Fischartin ihn an, um sogleich süß lächelnd hinzuzufügen: »Aber natürlich, mein Sohn, das weiß ich doch.«
    Trotz dieser Versicherung spürte Agnes, wie sehr Caspars Auftauchen seine Mutter verwirrt hatte. Auch Agnes bedauerte es nun. Wäre er einen winzigen Moment später gekommen, hätte die Fischartin ihren Satz beenden können. Vielleicht hätte sie dann verraten, woher sie wusste, dass die Mutter keine Verwandten am Pregel haben konnte.
    »Nun gut«, erklärte die Fischartin zuvorkommend, »richtet Eurer Muhme bitte aus, dass mir die Bänder einigermaßen gefallen, zumindest die beiden dunkelroten. Bei dem blauen hätte sie etwas großzügiger mit den Goldfäden sein können. Ich habe ihr ausreichend davon zum Einweben gegeben. Nicht, dass sie mit meinem Gold die Borten einer anderen schmückt und doppelt daran verdient. Lasst Euch von meinem Sohn unten in der Diele das Geld für die Bänder geben. Für die fehlenden Goldfäden wird er allerdings etwas abziehen. Gehabt Euch wohl.« Knapp nickte sie und rauschte an ihr vorbei nach draußen.
    »Puh!«, entfuhr es Caspar, als sich die Tür hinter ihr schloss. »Etwas scheint ihr nicht zu passen.«
    »Und es sind gewiss nicht die angeblich so spärlich eingewebten Goldfäden«, stimmte Agnes zu. »Gib mir besser gleich das Geld, damit ich gehen kann.«
    Schon wollte auch sie zur Tür, doch Caspar stellte sich ihr in den Weg. »Sei ihr nicht gram. In letzter Zeit neigt sie zu überstürzten Äußerungen. Zumeist bedauert sie sie selbst, kaum dass sie sie hat fallenlassen. Ich glaube, sie hat derzeit ihre Gedanken oft ganz woanders. Du musst wissen, es gibt einige Schwierigkeiten mit Vaters …«
    »Steht es schlecht um Euer Kontor?« Ihre Stimme zitterte.
    »Ich weiß, ich habe dir das alles letztens reichlich rosig ausgemalt«, begann Caspar, hob ratlos die Arme, ließ sie sinken und schwieg.
    Sie wartete geduldig, ob er ihr das genauer erklären würde. Er drehte sich halb von ihr weg und starrte aus dem Fenster. Im Gegenlicht zeichnete sich sein Profil deutlich ab. Die lange, schmale Nase mit dem Höcker gleich unterhalb der Nasenwurzel stach aus den weichen Linien des Gesichts hervor. Zum ersten Mal fiel ihr das bewusst auf. Lore!, dachte sie, Lore hat genau dieselbe Nase.
Gehabt,
setzte sie in Gedanken traurig dazu. Wieder stieg bitterer Schmerz in ihr auf. Sie schwankte.
    »Lass uns nach unten gehen und das mit dem Geld für die Borten regeln.« Caspars Stimme klang brüchig, kippte vom dunklen Männlichen ins hohe Knabenhafte.
    »Gut«, stimmte sie zu und folgte ihm auf weichen Knien in die Diele.

20
    I n der dämmrigen, sorgfältig aufgeräumten Stube der Hundskötterin fühlte Editha sich unwohler denn je. Der Weg durch die Lang- und Koggengasse zum Laakentor und von dort zum Haus der Hebamme nahe der alten Stadtschmiede bereitete ihr zunehmend größere Mühe. Die neuerliche Schwangerschaft setzte ihr weitaus früher zu als sonst. Die Brüste schienen ihr schon jetzt bis zum Bersten gefüllt, von der deutlichen Wölbung des Unterleibs ganz zu schweigen. Wie sollte sie diese Last mehrere Monate mit sich herumschleppen? Zum ersten Mal schreckte sie die lang herbeigesehnte Schwangerschaft.
    Rastlos wanderte ihr Blick über die unzähligen Tonkrüge und Tiegel auf dem Wandbord. Von ihren Donnerstagsbesuchen wusste sie, dass sie neben Harmlosem wie zerstoßenem Hirschhorn, geriebenen Käferlarven, Muskatnüssen, Pfefferkörnern oder Ingwerwurzeln auch Geheimnisvolles wie im Ganzen aufbewahrte Krebsaugen, pulverisierte Schildkrötenpanzer, Stücke von Schlangenhaut oder in Bittermandelöl eingelegte Skorpione bargen. An einer Stange gleich daneben reihten sich üppige Büschel mit Kräutern, angefangen bei Melisse und Johanniskraut über Thymian und Lavendel bis hin zu Minze und Rosmarin. Kopfüber hingen sie zum Trocknen und verströmten ein

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