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Gold und Stein

Gold und Stein

Titel: Gold und Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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Eurer armen Mutter gezerrt haben. Unendlich lange hat sie in den Wehen gelegen und sich den Qualen der Geburt hingegeben. Schon damals bin ich ihre Wehmutter gewesen und habe sie vom ersten Anzeichen der Schwangerschaft bis zu ihrer Niederkunft treu begleitet. Deshalb werde ich es wohl am besten wissen, wer Eure Mutter ist. Schließlich habe ich Euch mit eigenen Händen aus ihrem Leib gezogen.«
    »Ihr lügt!«, beharrte Agnes, während Caspar starr dastand und Gunda zwischen Wut und Ungläubigkeit ob der Entwicklung der Dinge schwankte.
    »Good gracious!«,
meldete sich die Fischartin leise zu Wort. Ihre Stimme zitterte. »Jedes einzelne Wort ist wahr. Ich habe euch beiden einst das Leben geschenkt, und die da …«, ihr Zeigefinger schnellte plötzlich nach vorn, wies anklagend auf Gunda, »die hat dich mir grausam von der Seite gerissen.«
    Angewidert sah sie auf Gunda, die die ungeheure Anschuldigung scheinbar ungerührt ertrug.
    »Und weißt du, warum, Liebes?«, wandte sich die Fischartin schließlich wieder an Agnes. »Weil sie am selben Tag niedergekommen ist wie ich. Allerdings hat sie nur ein lebloses Bündel Fleisch aus sich herausgepresst. Das konnte sie nicht dulden. Noch nie konnte sie ertragen, dass ich etwas hatte, was sie nicht hatte. Vom ersten Tag an hat sie mir geneidet, dass Gernot mich und nicht sie liebt und deshalb mich zur Frau genommen hat. Ihr ist am Ende nur dieser Grobian von Kelletat aus dem Löbenicht geblieben. Dem aber wollte sie wenigstens beim Kinderkriegen ihr Können beweisen. Das aber ist ihr ebenso misslungen, wie sie es nicht geschafft hat, Gernot auf Dauer für sich zu begeistern.«
    Sie hielt inne, reckte das Kinn, gewann zunehmend an Sicherheit. »Weil sie das alles nicht ertragen hat, hat sie mir das Schlimmste angetan, was man einer Frau antun kann: Sie ist zu mir ans Kindbett geschlichen und hat mir rücksichtslos mein Kind entrissen, einzig darauf bedacht, mir weh zu tun. Ach, ich kann es kaum glauben, dich wieder bei mir zu haben, mein liebes, süßes Töchterlein!«
    Schwankend erhob sie sich von ihrem Stuhl, kam mit weit ausgestreckten Armen auf Agnes zu und wollte sie an sich ziehen.
    Entsetzt wich Agnes zurück.
    »Don’t be so shy, sweet little darling!«
Die Stimme der Fischartin wurde weich, fast zärtlich. »Kein Wunder, dass du befremdet bist. Ich war es bis eben auch. Seit Jahren habe ich mir die Hoffnung versagt, dich je wieder gesund in meine Arme schließen zu dürfen. Dass ich diesen Tag noch einmal erleben würde, habe ich mir nicht mehr vorzustellen gewagt. Wir werden uns schon aneinander gewöhnen. Vertrau mir, Liebes. Jetzt, da wir uns wiederhaben, wird alles gut werden. Viel zu viele Jahre der Trennung liegen zwischen uns. Die müssen wir vergessen. Gemeinsam wird uns das gelingen.
Good grief!
« Sie warf die Arme in die Luft, richtete den Blick gen Decke und verharrte so einen Moment, bis sie sicher war, dass alle sie beobachteten. Langsam ließ sie die Arme wieder sinken und sah Agnes aus tränenverschleierten Augen an. Mit erstickter Stimme flüsterte sie: »Wie lange habe ich geglaubt, ich hätte dich für immer verloren, mein Kind! Um das unsägliche Leid überstehen zu können, musste ich mir einreden, ich würde dich nie im Leben wiedersehen. Deshalb konnte ich es zuerst auch nicht ertragen, dich wirklich vor mir zu haben. Mein erster Wunsch war, du solltest auf der Stelle wieder verschwinden. Viel zu groß war meine Angst, dich von neuem zu verlieren.
Heaven forbid!
Noch einmal würde ich das nicht überleben. Komm an mein Herz und lass dich drücken. Nie mehr sollen wir voneinander getrennt werden!«
    Mit einem kräftigen Ruck zerrte sie Agnes an ihre Brust. Diese war völlig überrumpelt, begriff erst, als sie bereits den aufdringlichen Geruch nach Rosenöl und schwitzender Haut einatmete, was da gerade geschah.
    »Nie im Leben glaube ich Euch! Ihr seid nicht meine Mutter.« Angewidert stieß sie die Fischartin von sich. Die taumelte, schwankte, sank entkräftet auf den Stuhl. Hilfesuchend sah Agnes auf Caspar. Der rührte sich immer noch nicht.
    »Warum sagst du nichts dazu?«, fuhr sie Gunda an. Entrückt hing Gundas Blick auf Caspar, als entdeckte sie auf seinem Gesicht etwas, was nur sie selbst sehen und deuten konnte. Agnes wollte sie an den Schultern fassen und wachrütteln, hielt jedoch auf halbem Weg inne.
    Merkwürdig, dass Gunda sich nicht auf ihn stürzte, ihn umarmte und herzte, wie die Fischartin es gerade mit ihr getan hatte.

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