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Gold und Stein

Gold und Stein

Titel: Gold und Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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Sitzen auf, schob den üppigen Leib heraus, um ihren Zustand zu unterstreichen, und blitzte sie siegessicher an. »Ob es dir passt oder nicht, meine liebe Gunda: Gernot und ich lieben uns bis zum heutigen Tag. Jede Nacht, die er hier im Haus weilt, wohnt er mir bei, jede Nacht finden wir beide höchsten Gefallen aneinander und können gar nicht genug voneinander kriegen.«
    »Mutter!«, mahnte Caspar. Anders als beabsichtigt, spornte sein Einspruch die Fischartin jedoch weiter an. Unter triumphierendem Auflachen fuhr sie fort: »Nach wie vor steht Gernot bei mir seinen Mann, nach wie vor sind wir uns in allem innig verbunden, übrigens auch jenseits der Bettlaken.«
    Besorgt behielt Agnes Gunda im Blick. Mit jeder Silbe der Fischartin wurde das Gesicht der Mutter fahler. Die Bierbeschauerin Mohr hatte recht gehabt: Die geplatzte Verlobung mit Gernot Fischart hatte sie tief verletzt. Bis zum heutigen Tag litt sie unter der Schmach.
    »Lass uns gehen«, flüsterte Agnes der Mutter ins Ohr. »Ich denke, die Fischartin braucht Ruhe. Die ganze Aufregung um das Eibenholzgeschäft war einfach zu viel für sie. Denk an ihren Zustand.«
    »Hah! Da irrst du dich aber gewaltig, mein Kind!« Die Fischartin hatte ihre Worte gehört und nahm sie ins Visier. »Schönen Dank für deine Sorge, doch sie ist unbegründet. Ich vertrage mehr, als du denkst, selbst wenn ich wieder in anderen Umständen bin.«
    »Ist das nicht wundervoll?« Die Hundskötterin rieb sich vergnügt die Hände. »Wie fürsorglich sich Agnes Euch gegenüber zeigt!«
    »Bitte?«, entfuhr es Agnes, während Gunda sich angewidert abwandte.
    »Vertraut meiner langjährigen Erfahrung als Hebamme«, fuhr die Hundskötterin fort. »Ich habe ein Gespür dafür, wenn zwei Menschen sich auf besondere Weise nahestehen. Blut ist eben stärker als alle anderen Bande! Jahrelang können Mutter und Kind, Bruder und Schwester voneinander getrennt sein, ohne einander zu vermissen, ja, ohne überhaupt voneinander zu ahnen. Doch sobald sie sich unverhofft gegenüberstehen, empfinden sie sofort viel füreinander und sind um das Wohl des anderen zutiefst besorgt. Dazu müssen sie sich nicht einmal auf Anhieb wiedererkennen. Oft sind sie sich zunächst sogar spinnefeind oder hegen gar verbotene Gefühle füreinander.«
    Sie maß Agnes mit einem seltsamen Blick, der ihr abermals das Blut in den Adern gefrieren ließ.
    »Was soll das? Was redet Ihr da?«, krächzte Caspar heiser. »Ihr wollt doch nicht im Ernst behaupten, meine Mutter und Agnes würden besondere Bande miteinander verbinden?« Missbilligend zog er die Augenbraue hoch, wippte auf den Fußspitzen und wandte sich dann ab.
    In Agnes arbeitete es heftig. Sie zwirbelte das Halstuch um den Finger, bis sie sah, dass Caspar gerade das Gleiche tat.
    »In gewisser Weise hat die Hundskötterin recht«, begann sie und suchte seinen Blick. »Allerdings nicht bezogen auf deine Mutter und mich, sondern auf dich und mich.«
    »Ach? Danke für den Hinweis, das ist mir bis gerade eben noch gar nicht aufgefallen.« Caspar verschränkte die Arme vor der Brust und stellte sich breitbeinig auf.
    »Tut mir leid, wenn ich dich vorhin verletzt habe, doch ich glaube, wir beide haben uns getäuscht, was die Art unserer Gefühle füreinander …«
    »Das gehört wohl kaum in diese Runde«, fuhr Caspar ihr über den Mund.
    »Doch!« Entschlossen baute sich Agnes vor ihm auf. »Schenk mir bitte noch einen Moment Gehör. Es geht nämlich genau darum, was die Hundskötterin gerade gesagt hat: Uns beide verbindet etwas Besonderes miteinander. Vom ersten Augenblick an habe ich das gespürt und gemerkt, dass es auch dir so erging. Jedes Mal, wenn wir uns wieder gegenüberstanden, wurde dieses Gefühl stärker. Doch es geht nicht in die Richtung, die wir beide zunächst vermutet haben. Seit vorhin weiß ich endlich, was es ist: Wir beide sind Bruder und Schwester!«
    »Nein!« Entsetzen blitzte in Caspars Augen auf.
    »Ja, wir sind Geschwister«, wiederholte sie beharrlich. »Zwillinge. Das sieht man uns nicht sofort an. Ein Junge und ein Mädchen sehen sich niemals zum Verwechseln ähnlich. Doch fällt dir nichts an mir auf?«
    Langsam schüttelte er den Kopf, blieb allerdings auf der Hut.
    »Sieh nur, unsere bernsteinfarbenen Augen. Und dann hier!« Mit einem Ruck zerrte sie an dem Stoff um ihren Hals, riss sich das Tuch halb herunter. »Wir beide tragen das, um etwas vor den neugierigen Blicken unserer Mitmenschen zu verbergen. Fass nur einmal mit

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