Gold und Stein
sich jemand für sie gefunden hätte. Wie gern hätte Agnes ihr etwas Tröstendes zugeflüstert, doch schon setzte die Wirtin ihre Rede an Agnes gewandt fort: »Die Beschreibung, die der junge Herr mir von Euch gegeben hat, war eindeutig. Er fragte nach einem jungen Fräulein Euren Alters und von Eurer Statur, mit glattem braunem Haar, bernsteinfarbenen Augen und vor allem einem weißen Tuch um den Hals, wie Ihr es tragt.«
Agnes erschrak. Unter den Worten der Wirtin begann ihr Feuermal abermals heftig zu brennen. Sie fasste an das Tuch, presste es fest auf die Haut im Nacken. Sie spürte sowohl die Blicke der Wirtin als auch von Struth und Julia neugierig auf sich ruhen.
»Warum trägst du auch dieses Tuch?«, fragte Julia vorwurfsvoll. »Das fällt jedem auf. Ich wundere mich schon lange darüber. Noch dazu legst du es nicht einmal zum Schlafen ab. Was versteckst du darunter?« Schon machte sie Anstalten, Agnes an den Hals zu fassen.
»Lass gut sein, Julia. Das ist nicht deine Sache.« Struth stieß sie zurück und wandte sich der Wirtin zu. »Verratet mir einfach, wer der junge Herr gewesen ist. Hat er eine Nachricht hinterlassen, wo er zu finden ist oder ob er wiederkommt? Wann hat er überhaupt nach Fräulein Agnes gefragt?«
»Nicht lange vor Euch wird er da gewesen sein«, erwiderte die Wirtin und freute sich an der Verwirrung, die sie gestiftet hatte. »Als ich ihm die gewünschte Auskunft schuldig geblieben bin, ist er wieder verschwunden. Seht selbst, wie viele Gäste hier sitzen. Da kann ich mich kaum bei jedem lange aufhalten, der nur eine Auskunft haben und nicht bei uns einkehren will. Wie hätte ich ahnen sollen, dass Ihr mir das gesuchte Fräulein kurz darauf schon ins Haus bringt?«
»Schon recht«, winkte Struth ab. »Wenn er weder einen Namen noch eine Nachricht hinterlassen hat, wo er zu finden ist, ist ihm nicht zu helfen. Entweder kommt er noch einmal zurück, oder aber er sucht doch nach jemand anderem. Statt zu grübeln, lasst uns lieber die Suppe essen, solange sie noch heiß ist.«
Hungrig beugte er sich über die Schüssel, auch Julia ließ sich das nicht zweimal sagen und löffelte gierig los. Agnes dagegen verspürte keinerlei Appetit mehr. Viel zu sehr beschäftigte sie die Frage, wer sich in der fremden Stadt nach ihr erkundigt haben mochte. »Könnt Ihr Euch vielleicht noch erinnern, wie der junge Herr ausgesehen hat?«
Bang sah sie zu der hochgewachsenen Wirtin auf. Eine schwache Hoffnung keimte in ihr, ein Wunder wäre geschehen und es mochte Laurenz gewesen sein. Wie er darauf gekommen sein sollte, nach ihr zu suchen und sich ausgerechnet in Elbing nach ihr zu erkundigen, war einerlei. Zu verlockend war die Vorstellung, er würde ihr baldiges Wiedersehen bereits ungeduldig herbeisehnen.
»So, wie Ihr fragt, scheint Ihr an jemand Bestimmten zu denken«, entgegnete die Wirtin spitz. »Dann ist es wohl überflüssig, dass ich ihn Euch beschreibe. Längst wisst Ihr selbst, um wen es sich handeln muss.«
Nun war Agnes klar, dass es keinesfalls Laurenz gewesen sein konnte. Sofort hätte die Wirtin seine besonderen Augen erwähnt und bei der Gelegenheit eine weitere scharfzüngige Bemerkung angebracht. Noch während sie mit der Enttäuschung rang, beugte sich die Wirtin vor und wisperte ihr hinter vorgehaltener Hand ins Ohr: »Mich wundert, wie gut es Euch gelingt, Struth tatsächlich im Glauben zu lassen, Ihr wärt noch unschuldig.«
Eine schallende Maulschelle hätte Agnes nicht härter treffen können. Tiefe Scham stieg in ihr auf. Ehe sie sich fassen und etwas erwidern konnte, war die Wirtin bereits eilig im hinteren Teil der Gaststube verschwunden. Agnes warf einen scheuen Blick auf den Getreidehändler und seine Tochter. Sie schienen die bösen Worte nicht gehört zu haben.
Später ließ Julia ihr keine Ruhe. In der winzigen Kammer, in der sie sich für die Nacht ein Bett teilten, bedrängte sie sie. »Jetzt hab dich doch nicht so mit deinem Halstuch und zeig mir endlich, was du darunter verbirgst. Ist es eine Narbe oder ein widerlicher Ausschlag? Oder ist es einfach nur die Spur deines Liebsten, der dich unter heftigsten Küssen aus seinen Armen verabschiedet hat? Wolltet ihr euch unterwegs irgendwo treffen und gemeinsam fliehen? Wie aufregend! Erzähl mir alles von ihm und eurer Liebe! Kein Wunder, dass dein Oheim meinem Vater nichts davon gesagt hat. So etwas würde ich zuallerletzt meinem Oheim erzählen.«
Übermütig tanzte sie um Agnes. Mit ihren fleischigen,
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