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Gold und Stein

Gold und Stein

Titel: Gold und Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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kurzen Finger fuchtelte sie dicht vor Agnes’ Hals herum, das Kichern wurde immer aufgeregter. Mit einem beherzten Schubs befreite Agnes sich endlich aus ihrer Nähe.
    »Lass gut sein. Ich glaube, die vielen Geschichten, die du tagaus, tagein erzählst, bringen dich durcheinander. Leider muss ich dich enttäuschen. Da gibt es weder eine heimliche Flucht mit dem Liebsten noch sonst ein Geheimnis, was sich unter dem Halstuch verbirgt. Nicht einmal ein göttlicher Fluch lastet auf mir.«
    »Schade.« Julia klang enttäuscht.
    »Es ist alles genau so, wie dein Vater es gesagt hat«, fuhr Agnes zu lügen fort. »Mein Oheim hat mich losgeschickt, weil meine Muhme eine dringende Nachricht an meinen Vetter zu übermitteln hat. Die wollte sie niemand Unbekanntem anvertrauen, eben weil die Zeiten so unruhig sind, wie die Wirtin es behauptet. Und das hier«, mit einem Ruck zerrte sie sich das Tuch vom Hals, »ist nichts weiter als das Erbe meines Vaters. Ein hässliches Mal, das alle in seiner Familie von Geburt an tragen. Ob wir wollen oder nicht: Damit sind wir gezeichnet bis ans Ende unserer Tage.«
    Zum ersten Mal sprach sie jemand Fremdem gegenüber von ihrem leiblichen Vater. Dabei war sie ihm nie im Leben begegnet und wusste kaum etwas von ihm. Plötzlich verspürte sie einen dicken Kloß im Hals. Heftig aufschluchzend warf sie sich aufs Bett und vergrub sich in den kratzenden Decken.

2
    D er Abschied von Bertram Struth und seiner Tochter Julia fiel weitaus schwerer, als Agnes das am Abend zuvor gedacht hatte. Zum morgendlichen Imbiss saß sie mit den beiden in der nahezu leeren Gaststube des Goldenen Aals. Die meisten Gäste waren bereits aufgebrochen. Die Wirtin war damit beschäftigt, den Mägden im Keller das richtige Einlagern zu erklären. Gelegentlich drang aufgebrachtes Schimpfen aus der offenen Bodenluke nach oben.
    »Es tut mir wirklich leid, Euch fürs Erste keine weitere Reisemöglichkeit beschaffen zu können.« Unbehaglich wand sich Struth vor ihr, knetete die fleischigen Hände. »So kurz vor Erreichen Eures Zieles ist das besonders ärgerlich. Doch die Nachricht an Euren Vetter ist besser einige Tage länger unterwegs, als dass Ihr Euch in Gefahr begebt. Versprecht mir, Euch in keinem Fall allein auf den Weg zu machen. Ihr habt gehört, was die Wirtin gestern Abend erzählt hat: Die unzufriedenen Söldner lauern selbst den kräftigsten Männern auf und machen ihnen den Garaus. Was tun sie erst, wenn ihnen ein junges Fräulein ohne männlichen Schutz gegenübersteht? Auch dürft Ihr Euch nicht blindlings irgendwelchen Reisenden anvertrauen. So manch zwielichtiges Gesindel drückt sich in den Gasthäusern herum und bietet sich als vermeintlich gute Begleitung an. Harrt lieber noch ein paar Tage länger hier in Elbing aus. Anfang nächster Woche treffen wieder Kaufleute aus der Königsberger Altstadt ein. Ich habe bereits eine Nachricht für sie hinterlegt. Bis dahin wird die Wirtin Euch gut beherbergen. Darauf gebe ich Euch mein Wort.«
    »Danke, das ist sehr edel von Euch.« Agnes legte den Löffel beiseite, schob die Schale mit dem Gerstenbrei fort. Ihre Hände zitterten. Sie wagte nicht zu sagen, dass sie der Wirtin zutiefst misstraute. »Ich stehe für immer in Eurer Schuld. In den letzten Tagen habt Ihr weitaus mehr für mich getan, als mein Oheim je guten Gewissens hätte verlangen können.«
    Wie leicht ihr die Lüge mit dem Oheim inzwischen über die Lippen kam! Und das ausgerechnet dem guten Struth gegenüber, der alles für sie zu tun bereit war.
    »Alles, was ich getan habe, habe ich nur zu gern für Euch getan.« Unerwartet griff Struth nach ihrer Hand, barg sie fest zwischen den Händen. Überrascht bemerkte sie, wie warm und weich sich seine Haut anfühlte. Er verstärkte den Druck. Als sie den Kopf hob und ihn anschaute, zuckte sie zurück. In seinen Augen schimmerte etwas, das weit über väterliche Zuneigung hinausging. »Bitte seid vorsichtig, liebe Agnes!«, presste er heiser zwischen den Lippen hervor. »Mir liegt sehr daran, dass Ihr Euer Ziel unversehrt erreicht. Schickt mir eine Nachricht nach Danzig. Versprecht es mir.«
    »Das werde ich«, erwiderte sie und zog die Hand behutsam zurück. Willig ließ er es geschehen. Als sie kurz darauf an der Tür Abschied voneinander nahmen, unternahm er keine weiteren Anstalten, sie seiner besonderen Zuneigung zu versichern. Steif reichte er ihr die Hand und bestieg nach einem knappen Nicken das Fuhrwerk.
    »Im nächsten Frühjahr werden wir

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