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Gold und Stein

Gold und Stein

Titel: Gold und Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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gewiss wieder im Kneiphof sein«, verkündete Julia frohgemut. »Ich freue mich schon, dich wiederzusehen.« Sie schlang die Arme um Agnes und drückte sie gegen ihre Brust. Dabei raunte sie ihr ins Ohr: »Pass gut auf dich auf und sorge dich nicht wegen des Mals in deinem Nacken. Das ist eine besondere Auszeichnung für deine Familie. Eines Tages wirst du schon sehen, wozu sie gut ist.«
    »Danke.« Gerührt schluckte Agnes. Winkend lief sie noch einige Schritte neben dem Fuhrwerk her, blieb schließlich am Marktplatz stehen. Grüßend hob Struth die Peitsche, Julia rief »leb wohl!«, dann fuhr der Wagen durch die engen Gassen zum westlichen Stadttor davon.
    Solange es ging, sah Agnes ihnen nach. Um nicht zu schnell wieder der Wirtin aus dem Goldenen Aal ausgeliefert zu sein, beschloss sie, zunächst noch einen Spaziergang durch die Stadt zu unternehmen. Der Regen des Vortags war feuchtem Nebel gewichen. Einem dünnen weißen Vorhang gleich, schob er sich durch die Straßen. Der eisige Ostwind hatte sich gelegt, trotzdem war es viel zu kalt für einen der ersten Oktobertage. Agnes schlang den Umhang fest um die Schultern und schritt tüchtig aus. Kaum jemand begegnete ihr. Die Tore standen zwar bereits seit einiger Zeit offen. Dennoch dauerte es, bis die ersten Händler und Krämer das Innere der Stadt erreichten. Am Rathaus wehte keine Fahne, es war kein regulärer Markttag. Wie leer gefegt war der Platz unweit der dreischiffigen Nikolaikirche.
    Agnes lief eine schmale Gasse entlang, die sie westwärts auf das Heilig-Geist-Spital zuführte. Der eindrucksvolle Backsteinbau beherrschte das gesamte Geviert entlang der Spitalgasse. Vor seinem Haupttor fand sich eine kleine Menschentraube. Neugierig näherte sich Agnes. Eine Gruppe Reisender hatte sich hoch zu Ross versammelt, umringt von einem guten Dutzend Frauen und Kindern. Es mochten wohl wichtige Herren sein, darauf ließen die prächtige Kleidung sowie die wunderschönen Pferde schließen. Eine Frau hob ein etwa dreijähriges Kind einem Mann entgegen, der sich ihr von seinem Rappen aus entgegenbeugte. In einer hastigen Bewegung schlug er ein Kreuzzeichen über dem Kopf des Kindes und hauchte ihm einen Kuss auf die Stirn. Dankbar lachend nahm die Frau ihr Kind wieder zurück.
    Als Agnes nur noch wenige Schritte entfernt war, vernahm sie einige polnische Satzfetzen.
»Bóg z wami!«
    »Wyruszajmy w drogę. Nasza droga jeszcze jest długa.«
    Sie horchte auf, besah sich die Reiter genauer. Vermutlich waren sie ins Landesinnere unterwegs. Das bedeutete, sie würden an Marienburg vorbeikommen. Agnes’ Herz schlug schneller. Sie reckte sich auf die Zehenspitzen, um über die Köpfe der anderen hinweg mehr zu erspähen. Ein Fuhrwerk suchte sie jedoch vergeblich. Trotzdem wollte sie nichts unversucht lassen und trat beherzt auf einen bärtigen älteren Herrn zu, der sich ein wenig abseits von den anderen hielt und ganz in Gedanken versunken schien. Angestrengt überlegte Agnes, wie sie ihn am besten ansprechen sollte. Polnisch beherrschte sie leider kaum.
    »Agnes!«
    Sie erschrak. Die Stimme kannte sie gut, doch sie konnte kaum glauben, was es bedeutete, sie plötzlich in Elbing zu hören. Zugleich schoss ihr der Hinweis der Wirtin in den Kopf, jemand habe nach ihr gefragt. Es hätte ihr gleich klar sein müssen, dass es nur einen gab, der dafür in Frage kam. Langsam drehte sie sich um und rief: »Caspar!«
    Vor Rührung versagte ihr die Stimme. Er war es tatsächlich! Wie er so vor ihr stand, den verlegenen Blick knapp an ihr vorbei gerichtet, quoll sie über vor zärtlichem Empfinden. Beglückt musterte sie ihn, saugte jede einzelne seiner ungeschickten Bewegungen in sich auf, blieb zuletzt an seinem Halstuch hängen. Es wunderte sie, dass die Wirtin das verschwiegen hatte. Dabei blitzte es auffällig unter dem Kragen seines bunten Rocks hervor. Agnes’ Tuch hatte sie dagegen mit einem eindringlichen Blick bedacht. Für wen die Wirtin Caspar wohl hielt? Jäh schoss Agnes ein anderer Gedanke in den Sinn: Wieso dachte sie, Caspar wäre ihr aus eigenem Antrieb nachgereist? »Was machst du hier? Hat dich wer geschickt? Glaube nicht, du könntest mich aufhalten oder gar nach Königsberg zurückbringen!«
    »Agnes, Liebes, was hast du? Wieso sollte ich dich aufhalten oder gar nach Königsberg zurückbringen wollen? Du ahnst nicht, wie froh ich bin, dich endlich gefunden zu haben! Heil und unversehrt noch dazu. Ich war schon ganz beunruhigt, so lange keine Spur von dir

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