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Gold und Stein

Gold und Stein

Titel: Gold und Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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vorhin am Spital etwa angesehen?«
    »Das fragst du noch?« Er lachte laut. »Ach, Agnes, Liebes, du bist einfach nicht fürs Reisen geschaffen. Viel zu auffällig hast du eben bei dieser Reitergruppe umhergespäht. Ein allein reisendes junges Mädchen sollte vorsichtiger sein. Man könnte das missverstehen.«
    Beschämt sah sie zu Boden und sortierte mit den Spitzen ihrer Schnabelschuhe Steine auf dem Pflaster, bevor sie den Kopf wieder hob und leise weiterredete. »Anfang nächster Woche sollen Kaufleute eintreffen, die nach Marienburg wollen. Für die hat Struth bei der Wirtin im Goldenen Aal eine Nachricht hinterlegt, damit sie mich mitnehmen.«
    »So lange willst du allerdings nicht warten und suchst deshalb nach anderen Reisegefährten.«
    »So lange
kann
ich nicht warten, Caspar! Das sind noch drei oder vier Tage. Dabei ist es bis zur Marienburg nicht viel weiter als ein Katzensprung. Heute Abend schon könnte ich dort sein und mit Laurenz reden.«
    »Das ist ein sehr langgestreckter und gefährlicher Katzensprung.« Caspars Antlitz verfinsterte sich.
    »Woher nimmst du die Kühnheit, so erfahren zu tun? Bist du überhaupt jemals zuvor allein außerhalb Königsbergs unterwegs gewesen?«
    »Allein noch nicht, aber an der Seite meines Vaters und anderer Kaufleute. Da habe ich so einiges aufgeschnappt. Gerade weil ich die Berichte über Überfälle und dergleichen kenne, hege ich Bedenken.«
    »Ausgerechnet jetzt, nachdem du vier Tage lang allein am Frischen Haff unterwegs gewesen bist?« Sie lachte auf. »Mir scheint, du bist derjenige von uns beiden, der besser nicht länger allein unterwegs sein sollte.«
    »Heißt das etwa, du würdest es wagen, mit mir aufs Pferd zu steigen und gleich loszureiten?«
    »Wenn du dich das traust, traue ich mich das erst recht.«
    Herausfordernd maßen sie sich mit Blicken.
    »Also gut«, erklärte Caspar. »Ich bin im Grünen Tor abgestiegen, das liegt gleich dort vorn bei der Marienkirche. In Kürze ist mein Bündel gepackt und mein Pferd gesattelt. Wo finde ich dich?«
    »Im Goldenen Aal, nicht weit vom Marktplatz.«
    »Oh, ich weiß, bei der Wirtin mit dem durchdringenden Blick und den katzengrünen Augen. Hat sie dir gestern auch so auf das Halstuch gestarrt?« Er zwinkerte ihr zu. »Lauf schon vor und kündige ihr deine Abreise an. Sie wird dich ungern gehen lassen, wenn Bertram Struth dich ihr anempfohlen hat.«
    »Woher weißt du das jetzt schon wieder?«
    »Du musst mich bislang für sehr einfältig gehalten haben.« Er schüttelte sacht den Kopf. »Wahrscheinlich bin ich schon weitaus mehr in der Welt herumgekommen als du.«
    »Daran zweifele ich nicht. Aber darüber können wir uns später unterhalten. Jetzt gilt es, keine Zeit zu verlieren und endlich aufzubrechen. Der Tag wird nicht länger davon, dass wir die Zeit weiter sinnlos vertun.«

3
    D ie Tropfen schmeckten ekelhaft. Es schüttelte Editha, als sie sie hinunterwürgte. Was flößte die alte Hexe ihr da nur wieder ein? Argwöhnisch äugte sie zu der stämmigen Frau hinüber, die sich wenige Schritte von ihrem Bett entfernt am Tisch mit ihren zahlreichen Phiolen, Säckchen, Tiegeln und Töpfchen zu schaffen machte. Im schwachen Licht des verregneten Oktobertages wirkte sie umso gewaltiger, verdeckte ihr breiter Rumpf doch nahezu die gesamte Breite des Fensters zum Hof. Ein aufdringlicher Geruch nach Minze, Rosmarin, Thymian und anderen Kräutern hing in der Luft. Dieses harmlose Gemisch aber schien rein gar nichts mit dem zu tun zu haben, was die Hebamme ihr gerade gereicht hatte. Bitterkeit breitete sich in ihrer Kehle aus. Die Zunge wurde pelzig, auf Oberarme und Schultern legte sich eine eigenartige Schwere.
Blasted old shrew!
Warum nur fehlte ihr die Kraft, die verdächtigen Tropfen in hohem Bogen auszuspucken und das meineidige Weibsstück ein für alle Mal aus dem Haus zu werfen? Wieder einmal hatte die räudige Klepperin einen Weg gefunden, sich bei ihr unentbehrlich zu machen und Druck auf sie auszuüben. Matt sank Editha in die Kissen zurück und schloss die Augen.
    »Na, meine Liebe! Geht es uns besser?« Schwer atmend beugte sich die Hundskötterin über sie, legte ihr die Finger auf die Augenlider, schob sie unerbittlich nach oben. Editha erschrak fast zu Tode. Erst nach einigen Atemzügen verwandelte sich die Fratze direkt vor ihrer Nase in das verhinderte Männergesicht zurück, das der gerissenen Hebamme vom Steindamm eigen war. Sie bleckte die blendend weißen Zähne, pustete Editha einen

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