Gold und Stein
drüben im Löbenicht ein gesunder, kräftiger Knabe das Licht der Welt erblickt hat? Noch dazu mit genau demselben Gesichtsausdruck wie Euer Gemahl und zugleich als zweites Kind einer Frau, über deren Ehrbarkeit schon damals so manch berechtigter Zweifel bestanden hat. Hättet Ihr mir seinerzeit nicht vertraut, hättet Ihr nie ein so properes Kind wie Caspar an Euer Herz drücken, nie die Freude erleben können, es zu einem klugen, stattlichen jungen Mann heranwachsen zu sehen. Ganz zu schweigen von der unermesslichen Freude, dass ebenjenes Vertrauen in mich Euch nun auch noch die lang herbeigesehnte Tochter …«
»
Shut up, you silly shrew!
Genau das habt Ihr doch gründlichst verhindert. Was ist nur in Euch gefahren, im Angesicht von Gunda ausgerechnet diese Geschichte zu erzählen?«
»Das fragt Ihr tatsächlich, meine Liebe? Bislang habe ich Euch für klüger gehalten.«
Eindringlich sah die Hundskötterin sie an. In ihren Augen lauerte ein Sog, dem sich Editha nicht entziehen konnte. Von neuem schwindelte ihr. Die Arme wurden ihr schwer, Müdigkeit erfasste ihren Leib. Aus weiter Ferne drangen die nächsten Sätze der Hundskötterin an ihr Ohr. Dennoch verstand sie jede Silbe ganz genau.
»Bedenkt doch bitte Eure Lage einmal in aller Ruhe! Wieso sollte Euch Caspar je wieder von der Seite gerissen werden? Er ist Euer Sohn! Das ist längst über jeden Zweifel erhaben. Ganz abgesehen davon, wie sich die Sache mit Agnes verhält. Auch da lag bislang einfach ein sehr bedauerliches Missverständnis vor. Kaum zu glauben, dass sie Euch als ihre eigene Mutter nicht sofort erkannt hat! Dank meines beherzten Eingreifens letzte Woche konnte das alles nun endlich aufgeklärt werden. Wartet nur, bis Euer Gemahl wieder zu Hause ist, dann wird auch er alles tun, damit die Wahrheit endlich Bestand hat.«
Bedeutungsvoll hob sie den rechten Zeigefinger, hielt ihn dicht vor Edithas Gesicht. Sosehr sich Editha dagegen sträubte, blieb ihr nichts anderes, als ihm bei jeder Bewegung gehorsam zu folgen. Ebenso folgten auch ihre Gedanken brav dem, was die Hundskötterin vor ihr ausbreitete. »Als Eure treue Hebamme habe ich Euch damals bei der schweren Geburt von zwei Kindern beigestanden. Erinnert Ihr Euch noch, wie Ihr schon aufatmen wolltet, als das Mädchen endlich in Euren Armen lag? Dann aber packte Euch eine neuerliche Wehe, ein weiteres Mal bäumte sich Euer Leib auf, bis endlich auch der Junge zwischen Euren Schenkeln herausglitt. Euer Gemahl wird das nur zu gern bestätigen, ebenso wie die gute alte Anna, Eure Magd. Kaum kam sie damit nach, heißes Wasser und frische Leinentücher zu bringen.«
Editha setzte an, etwas zu sagen, doch die Hundskötterin bedeutete ihr mit einem knappen Wink des Zeigefingers zu schweigen. »Schaut Euch die zwei doch an! Agnes hat es letztens selbst gesagt: Das Feuermal im Nacken weist sie eindeutig als Bruder und Schwester aus. Ebenso eindeutig sind sie dank dessen die Kinder Eures Gemahls. Er trägt genau dasselbe Mal im Nacken. Was will Gunda dem entgegensetzen?«
Sie hielt inne, pustete sich eine Strähne ihres blonden Haars aus der Stirn, schmunzelte siegesgewiss. Ruhig fuhr sie fort: »Sie mag zur selben Zeit drüben im Löbenicht entbunden haben, unterstützt von meiner einstigen Lehrmeisterin Gerda Selege sowie ihrer eigenen Mutter. Wo aber sind die Zwillinge, denen sie damals angeblich das Leben geschenkt hat? Wer will das außer ihr noch bezeugen? Ihr Gemahl, der ehrbare Böttchermeister Rudolf Kelletat, ist leider ebenso verstorben wie die brave Gerda Selege und vermutlich auch Gundas eigene Mutter. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt! Auch das Gesinde ist in alle Winde verstreut. Völlig allein steht sie also mit ihrer ungeheuren Behauptung da. Mutet es nicht höchst seltsam an, dass sie Anspruch auf zwei Kinder erhebt, die eindeutig den Lenden Eures Herrn Gemahls entsprungen sind? Schaut Euch nur das Mal im Nacken an, das alle drei an derselben Stelle tragen. Will Gunda etwa in aller Öffentlichkeit darauf bestehen, die so Gezeichneten wären ihre Kinder? Noch dazu im Angesicht Eures Gemahls, der dazu gewiss auch etwas zu sagen hat?«
»Aber genau das hat sie doch schon einmal getan!«, warf Editha weinerlich ein und schob den Zeigefinger der Hundskötterin mit zittriger Hand von sich weg. Ihre Wangen glühten vor Anspannung. Nur zu deutlich sah sie vor sich, wie Gunda mit dem einen Säugling im Arm vor ihr und Gernot aufgetaucht war und mit tränenerstickter Stimme Caspar
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