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Gold und Stein

Gold und Stein

Titel: Gold und Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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zurückverlangt hatte.
    »Vergesst die hässliche Szene, die sie damals aufgeführt hat: Noch während sie ihren Anspruch auf den Jungen erhoben hat, ist ihr selbst klargeworden, dass sie sich damit des Ehebruchs schuldig gemacht hätte. Wir alle wissen, welche Strafe einer Frau dafür droht. Ganz zu schweigen davon, dass man unter diesen Umständen auch noch einmal auf die Frage zu sprechen gekommen wäre, wie ihr Gemahl, der arme Rudolf Kelletat, kurze Zeit nach der Niederkunft auf so merkwürdige Art und Weise zu Tode gekommen ist.«
    »Würde man uns heute nicht fragen, wieso wir sie damals mit dem Mädchen haben gehen lassen?« Edithas Stimme bebte. Verschreckt kauerte sie auf der Bettkante und wagte kaum, die Hundskötterin anzusehen.
    »Habt Ihr das denn?« Die Hebamme fasste ihr ans Kinn, hob es an. Zugleich reckte sie den Zeigefinger und zwang Editha, sich von neuem ganz auf dessen Fingerspitze zu konzentrieren. »Ich erinnere mich gut, wie Euer Gemahl voller Verzweiflung versucht hat, ihr das arme Kind wieder abzunehmen. Kurz zuvor erst hat sie es Euch von der Seite gerissen. Das arme Kleine! Gewimmert hat es, dass Gott sich erbarme. Das aber hat diese schändliche Erzbübin nicht gekümmert. Wie ein wildes Tier hat sie sich Eurem Gemahl widersetzt. Ungestüm hat sie den guten Mann beiseitegestoßen und ist mit dem flennenden Kind auf dem Arm davongerannt. Euer Gemahl konnte von Glück sagen, nicht ähnlich hart mit dem Kopf gegen die Wand geschlagen zu sein wie der arme Kelletat wenige Stunden zuvor. Über Wochen hat man noch die Beule an seinem Schädel bewundern können, die er von dieser Begegnung davongetragen hat. Die grausame Kindsräuberin aber war da schon längst über alle Berge. Mit ihr ist leider auch das Kind spurlos verschwunden. Bis vor wenigen Tagen.«
    »Caspar ist unverkennbar Gernots Sohn«, murmelte Editha leise, die Augen weiterhin starr auf die Fingerkuppe der Hundskötterin gerichtet. »Wenn ich doch nur wüsste, an wen mich Agnes erinnert. Etwas in ihrem Gesicht kommt mir sehr bekannt vor.«
    »Das nimmt mich nicht wunder.« Das Schmunzeln um die Mundwinkel der Hebamme wurde breiter. Ein Leuchten stand in ihren Augen, das das herbe Gesicht fast schön werden ließ. Behende griff sie an den Lederbeutel an ihrem Gürtel und öffnete ihn. Wenig später baumelte ein Emaille-Medaillon vor Edithas Gesicht. »Erinnert Ihr Euch? Ein lang verschollenes Stück aus Eurer alten Heimat.«
    »Woher habt Ihr das?« Verwirrt blinzelte Editha. Sie war sich nicht sicher, ob sie das Medaillon tatsächlich schon einmal gesehen hatte. Andererseits hatte sie so vieles aus dem Sinn verloren, seit sie weit von zu Hause und ihrer liebsten Familie lebte. Ihre Mutter hatte tatsächlich ein Schmuckstück dieser Art besessen. Hatte sie es ihr nicht damals bei dem tränenreichen Abschied im Hafen von London überreicht?
    »Beim Aufräumen der alten Truhe im Flur ist es Euch letztens wieder in die Hände gefallen«, erklärte die Hundskötterin mit einem zufriedenen Grinsen. »Sofort war der alte Schmerz wieder da. Das Bild Eurer verstorbenen Mutter ist zwar etwas verblasst, doch eins ist nach wie vor gut erkennbar: die Ähnlichkeit mit Eurer geliebten Tochter! Wer hätte geahnt, wie sehr sie ihrer Großmutter aus dem fernen London gleicht? Ein Wunder, dass Ihr sie endlich wieder in die Arme schließen dürft. Damit kehrt auch ein Stück alter Heimat wieder zu Euch zurück.«
    Sie beugte sich vor und knüpfte das Band um Edithas Hals. Sobald Editha das kühle Metall des Medaillons auf der nackten Brust spürte, fühlte sie sich auf einen Schlag besser. Der Schwindel war fort, ebenso waren alle Unsicherheit und Zweifel ein für alle Mal beseitigt. Dank Hermine Hundskötter wusste sie endlich, wie sich alles vor siebzehn Jahren zugetragen hatte. Gestärkt von neuer Zuversicht, richtete sie sich auf, öffnete das Medaillon und besah sich das Bild. Viel war nicht darauf zu erkennen: der Kopf einer glatthaarigen Frau mit einer schlanken, geraden Nase, die dem Betrachter geradewegs entgegensah. Der Lauf der Zeit hatte dem winzigen Porträt arg zugesetzt. Doch das war Editha gleichgültig. Sie wusste, was sie darin sehen wollte. Zufrieden presste sie sich das Schmuckstück gegen die Brust.
    »Thank goodness!«
Mit einem Mal spürte Editha den Wunsch, die stämmige Hebamme zu umarmen. Ein wenig ungelenk zog sie die mehr als einen Kopf größere Frau kurz an die Brust, um sie sodann auf Armlänge von sich wegzuschieben

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