Gold und Stein
Schwall des minzegetränkten Atems entgegen. Davon wurde der Würgereiz in Edithas Kehle stärker. Von neuem zwang es sie nach oben. Ehe sie sich’s versah, waren die eben eingeflößten Tropfen ausgespien. Angeekelt wischte sie sich über die Lippen.
»Ruhig, liebe Fischartin, ganz ruhig!«, säuselte die Hebamme, griff ihr mit den riesigen Pranken unter die Achseln und richtete sie vollends zum Sitzen auf. Zugleich schüttelte sie die Kissen in ihrem Rücken auf, wollte sie dagegenlehnen.
»Lasst mich!« Mit beiden Händen schlug Editha nach der Hundskötterin, wollte sie endlich weg von ihrem Bett, aus ihrem Schlafgemach, am liebsten ganz aus ihrem Haus jagen.
»Haltet ein! Regt Euch nicht so auf. Das ist das reinste Gift für Euch. Denkt an Euer Kind!«
Sanft tätschelte die Hundskötterin ihr den Rücken. Die klobigen Finger durch das dünne Leinenhemd zu spüren widerte Editha an. »Genau das tue ich die ganze Zeit!«
Jetzt, da sie der Tropfen ledig war, fühlte sie ungeahnte Kräfte in sich. Energisch schob sie die Hebamme beiseite, schwang die Beine über die Bettkante und erhob sich. Schwankend verharrte sie vor der Bettstatt, suchte mit der Linken Halt am gedrechselten Bettpfosten. Die Holzdielen unter ihren bloßen Füßen waren eiskalt. In Windeseile kletterte die Kälte die kurzen Beine herauf. Sie rieb sich die Zehen an den nackten Waden. Das Schwindelgefühl verschwand so plötzlich, wie es gekommen war, ebenso war der widerlich bittere Geschmack im Mund auf einmal weg.
»Seid vorsichtig, Fischartin. Ihr wisst nicht, was Ihr tut. Ich gebe Euch lieber noch einige von den Tropfen, und Ihr legt Euch derweil brav zurück ins Bett.« Die Hundskötterin wollte sie abermals anfassen.
»Rührt mich nicht an! Bleibt mir mit Euren Tropfen vom Hals und bildet Euch nicht ein, ich bliebe einen Tag länger still hier liegen. Das ist genau das, was mich mein Kind kosten wird, und zwar das Kind, das ich bereits seit siebzehn Jahren habe. Ich muss fort, raus aus dem Haus und herausfinden, wo Caspar steckt. Warum sagt mir keiner was? Seit vier Tagen ist er schon verschwunden. Genauso lang versucht Ihr, mich mit Euren widerwärtigen Tropfen und Pulvern ruhigzustellen. Glaubt nur nicht, ich wüsste nicht, welches Spiel Ihr hier spielt. Ihr seid schließlich schuld, dass mein Sohn verschwunden ist, und wollt deshalb alles tun, mich davon abzulenken.«
»Ich soll schuld sein, dass
Euer
Sohn verschwunden ist? Wie kommt Ihr denn darauf?« Um die Mundwinkel der Hundskötterin zuckte es belustigt. Sie stemmte die riesigen Hände auf die breiten Hüften und schob das Kinn leicht vor. »Habe ich es nicht immer schon gesagt? Das alles ist einfach viel zu viel für Euch! Erst die neuerliche Schwangerschaft, dann die Aufregung um Euren Gemahl und schließlich letzte Woche die aufwühlende Begegnung mit Caspars Schwester. Legt Euch ins Bett, schließt die Augen und vergesst all die törichten Sorgen. Vertraut mir. Ich weiß, was zu tun ist und wessen Ihr jetzt bedürft.«
»Tricky cow!«,
schrie Editha schrill auf. »Euch soll ich noch einmal vertrauen? Viel zu lange schon habe ich das getan! Welche Folgen das hat, habe ich letzte Woche gesehen. Von wegen ›Ihr gewinnt noch eine Tochter dazu‹. Gar nichts habe ich dazugewonnen. Im Gegenteil: Jetzt ist mein Sohn auch noch verloren! Und warum? Nur weil ich Euch zu lange vertraut habe! Gernot hatte recht: Niemals hätte ich auf Euch hören dürfen! Ohne Euch wäre alles gut geworden.«
Sie fasste sich an die Kehle, hustete, keuchte, sank erschöpft auf die Bettkante zurück.
»Seid Ihr da wirklich sicher, meine Liebe?« Die massige Hundskötterin schien der Ausbruch nicht im Geringsten aus der Ruhe zu bringen. Ein mitleidiger Blick aus ihren hellen Augen streifte Editha. Als sie den Kopf leicht anhob, erspähte sie das breite Kinn der Hebamme nah vor sich. Mitten darauf spross ein borstiges, dunkles Haar, das sie auszuzupfen vergessen hatte.
Disgusting!
Von neuem schüttelte es sie vor Ekel. Wie hatte sie diese räudige Metze nur je so nah an sich heranlassen können?
»Mir scheint, Ihr bringt da etwas ganz gehörig durcheinander«, fuhr die Hebamme ungerührt fort. »Soweit ich mich erinnere, hat Euch gerade das gewaltige Vertrauen in meine bescheidene Wenigkeit das allergrößte Glück beschert. Wie sonst hättet Ihr je erfahren, dass vor siebzehn Jahren in derselben Stunde, in der Euer viel zu zarter Sohn seinen ersten und zugleich letzten Atemzug geschnaubt hat,
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