Gold und Stein
das richtige Schreiben abhandengekommen ist. Was denkst du, wie es in den Krügen meist hergeht? Im Gedränge der Gaststube wird dir alles aus der Tasche stibitzt, was nicht festgenäht ist.«
»Sei da mal lieber vorsichtig.« Immer noch lachend reckte sie den Zeigefinger. »So übel wird einem nicht überall mitgespielt. Vergiss nicht: Ich bin in einem Gasthaus aufgewachsen, das gleich hinter dem Eingangstor zu einer wichtigen Kaufmannsstadt liegt. Wenn du mehr über das Dasein in einem Gasthaus wissen willst, solltest du besser mich fragen.«
»Danke, liebe Schwester«, zwinkerte er ihr zu, »ich werde bei Gelegenheit auf dein Angebot zurückkommen. Aber leider geht es wohl nicht überall auf der Welt so ehrlich zu wie bei euch wackeren Wehlauern.«
»Das klingt, als wärst du seit Jahren tagaus, tagein auf Handelsreisen unterwegs.«
Erstaunlich ernst entgegnete er auf ihre Neckerei: »Man muss nicht unbedingt selbst in der Welt herumreisen, um solche Dinge zu wissen. Es reicht, einfach im geeigneten Moment die Ohren zu spitzen, um aus den Erfahrungen der anderen die richtigen Schlüsse zu ziehen und fürs Leben zu lernen.«
»Daran werde ich dich gewiss noch erinnern.«
Über ihrem Geplänkel hatten sie kaum auf den Weg geachtet. Längst hatten sie ein gutes Stück auf der Hauptstraße zurückgelegt. Marienburg war wie die meisten Ordensstädte rechtwinklig angelegt. Das erleichterte es, sich zurechtzufinden. Die Steinhäuser wuchsen umso mehr in die Höhe, je näher sie dem Markt kamen. Die Läden an den Werkstätten entlang des Weges waren allerdings fest verschlossen, auch waren kaum Händler und Bauersfrauen mit ihren Waren auf der Straße. Dafür zogen zahlreiche Söldner durch die Stadt, die Waffen offen am Gürtel tragend. Auch Gruppen mit weißbemäntelten Ordensrittern tauchten immer wieder auf. Verwundert bemerkte Agnes, wie wenig sich die des offenen Soldes wegen Zerstrittenen auf der Straße anfeindeten. Fast schon friedlich und mit gegenseitiger Achtung schienen sie einander zu begegnen. Das ließ auf einen friedlichen Ausgang des Streits über die ausstehenden Soldzahlungen hoffen.
Die Bürger Marienburgs zeigten sich nicht sonderlich eingeschüchtert vom selbstbewussten Auftreten beider Parteien innerhalb ihrer Mauern. Längst hatten sie sich vom Preußischen Bund losgesagt und wie die drei Städte Königsbergs dem Orden gegenüber von neuem den Treueeid geleistet. Als Agnes und Caspar den Marktplatz überquerten, kündete lediglich das stark beschädigte Rathaus von den kämpferischen Auseinandersetzungen der letzten Monate. Direkt im Schatten der mächtigen Marienburg, nach wie vor Sitz des Hochmeisters des Deutschen Ordens, waren die Kreuzherren und die Bündischen wohl ebenfalls nicht zimperlich miteinander umgegangen. Lediglich der mit Blendschmuck versehene Nordgiebel des Rathauses zeigte sich unversehrt, der Südgiebel dagegen war ebenso abgebrochen, wie der dazwischen verlaufene Laubengang teilweise eingestürzt war.
»Da vorn ist der Goldene Adler!«, rief Caspar mit hörbarer Erleichterung, nachdem sie den Markt hinter sich gelassen hatten. Auch Agnes freute sich, das Wirtshausschild zu erspähen.
»Beeil dich mit dem Pferd, ich habe riesigen Hunger«, erklärte sie Caspar, kaum dass sie vor dem Haus abgestiegen war und er ihr das Bündel mit ihren Habseligkeiten herunterreichte.
»Geh ruhig schon einmal rein«, schlug er vor. »Ich komme gleich nach.«
»Du solltest besser absitzen, bevor du …«, wollte sie ihn warnen. Er aber winkte ab. »Danke, Schwesterherz, ich weiß, was ich tue.« Verwundert sah sie ihm nach, wie er hoch zu Ross in die Hoftür des Gasthauses ritt. Aus Wehlau wusste sie, wie wenig die Wirtsleute das mochten. Die Knechte im Stall reagierten meist verärgert, wenn die neu eingetroffenen Gäste ihnen derart von oben herab begegneten. Doch sie sparte sich eine weitere Warnung. Wenn Caspar darauf bestand, über das Reisen bestens Bescheid zu wissen, sollte er selbst sehen, wie weit er mit diesem Auftreten kam. Manch einer konnte eben doch nur aus Erfahrung klug werden. Mit gemischten Gefühlen betrat sie die Gaststube.
Drinnen schlug ihr vertrauter Dunst entgegen. Wie gern hatte sie das Gemisch aus menschlichen Ausdünstungen, schwüler Feuchtigkeit, dampfender Suppe und frisch gebrautem Bier! Nach kurzer Zeit unterschied sie die Umrisse der Gäste und entdeckte weiter hinten im niedrigen Raum das prasselnde Herdfeuer. Eine Magd machte sich am Suppenkessel
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