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Gold und Stein

Gold und Stein

Titel: Gold und Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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zu schaffen. Der verführerische Geruch nach Gesottenem und fetter Brühe verhieß ein baldiges Ende des leidigen Magenknurrens. Voller Vorfreude wanderte ihr Blick weiter. Den Wirt machte sie nicht weit entfernt von der Feuerstelle an einem der Tische aus. Übermütig redete er mit den dort sitzenden Männern, die sich beim Würfelspiel vergnügten. Beherzt trat Agnes auf ihn zu.
    »Gott zum Gruße. Mein Bruder und ich suchen eine Bleibe für die Nacht. Können wir bei Euch unterkommen?«
    Gemächlich hob der breitschultrige Mann den Kopf. In dem wettergegerbten Gesicht war ein Auge erloschen, das andere schaute ihr erstaunt entgegen. Sie erschrak. Längst war es zu spät, umzudrehen. Mühsam rang sie sich ein Lächeln ab.
    »Sehe ich recht? Ein junges Fräulein wie Ihr, ganz allein unterwegs?«
    Abschätzig musterte er sie von oben bis unten. Agnes wurde mulmig, das Lächeln um ihre Lippen wurde starr. Vielleicht hatte sie sich getäuscht, und der vierschrötige Kerl war gar nicht der Wirt. Warum sonst reagierte er so merkwürdig, statt sie erfreut zu begrüßen und ihr etwas anzubieten? Der Kleidung nach legte er keinerlei Wert auf sein Äußeres. Das mit einem zerschlissenen Ledergürtel zusammengeraffte Hemd hatte bereits bessere Tage gesehen, ebenso stand es um die Strumpfhosen und die Schnabelschuhe schlecht. Das grauschwarze Haar hing zauselig um den breiten Schädel, der Bart wurde selten gekämmt und noch seltener gestutzt. So sah kein Wirt aus, zumindest keiner, den sie kannte. Nie und nimmer hätte sich Zacharias Fröbel in solcher Aufmachung seinen Gästen gezeigt. Auch Gunda und Lore hatten stets allergrößten Wert darauf gelegt, ordentlich aufzutreten. Verstohlen schweifte ihr Blick weiter durch die Stube, suchte die unzähligen Gesichter und Gestalten ab. Die meisten Gäste schätzte sie als Kaufleute und reisende Händler ein, die Wert auf eine gut beleumundete Unterkunft legten. Einige erinnerten sie in ihrem Gehabe an Laurenz. Deshalb vermutete sie, es handelte sich ebenfalls um Handwerker, vielleicht sogar Baumeister wie er. Eine Handvoll Studenten kauerte in einer Ecke beieinander, Söldner und einfache Wanderer meinte sie dagegen keine unter den Versammelten zu entdecken. Auch an der Stube selbst war keinerlei Anzeichen von Verwahrlosung abzulesen. Die Tische glänzten sauber poliert, Bier und Suppe rochen gut. Agnes beschloss, sich nicht einschüchtern zu lassen und ihre Zweifel hinunterzuschlucken.
    »Ihr irrt«, erwiderte sie freundlich. »Ich bin nicht allein unterwegs. Mein Bruder begleitet mich. Er kommt gleich.«
    »So so, Euer Bruder begleitet Euch«, wiederholte der Wirt und verschränkte die Arme vor der Brust. »Dann wollen wir hoffen, er lässt nicht lange auf sich warten.«
    »Ja.« Agnes’ Stimme klang trotzig. Zu ihrem Schreck blickten die Würfelspieler bereits neugierig auf sie und hatten dafür sogar ihr Spiel unterbrochen. Verlegen wickelte sie die Zipfel ihres Halstuchs auf. Ein großer Fehler. Nun starrten die Männer allesamt auf ihren Hals. Hastig ließ sie die Hand sinken.
    »Keine Sorge, liebes Kind«, erklärte der Wirt auf einmal in zuvorkommendem Ton und wies mit der Hand über die Köpfe der Männer ringsum. »Für meine Gäste lege ich meine Hand ins Feuer. Das sind allesamt anständige Menschen. Von denen rückt Euch keiner zu nahe. Setzt Euch und esst von der Suppe. Bis Euer Bruder kommt, kann Euer Magen wohl kaum mehr warten.«
    Dröhnend lachte er. Sie errötete, knurrte ihr Bauch doch tatsächlich in diesem Moment wie zur Bestätigung lautstark.
    »Nichts für ungut!« Der Wirt führte sie zu einem Tisch in einer kleinen Nische. Den dort sitzenden Männern bedeutete er zusammenzurücken, damit auf der Bank Platz für sie frei wurde. Erleichtert verbarg sie ihr Bündel zu ihren Füßen. Freundlich nickte der Weißhaarige ihr zu, der dem freien Platz gegenübersaß.
    Ihr direkter Sitznachbar war ein Mann mit grauem Bart und lichtem Haarkranz, auch die drei anderen schienen vorgerückten Alters zu sein. Nach einem knappen Gruß wandten sie sich wieder ihren Schüsseln zu und aßen weiter.
    »Ihr seid mutig, junges Fräulein«, sprach der Weißhaarige sie schließlich an. »Es gehört einiges dazu, in Zeiten wie diesen allein unterwegs zu sein.«
    »Ich bin nicht allein. Mein Bruder begleitet mich«, wiederholte Agnes. Zugleich spürte sie, wie leid sie es war, sich für ihr Auftauchen ohne Caspar zu rechtfertigen. Sie hätte wohl doch besser gewartet, bis er aus

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