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Gold und Stein

Gold und Stein

Titel: Gold und Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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Nacht?«, fragte Agnes. Seit ihrem Gespräch war eine lange Zeit ins Land gegangen. Caspar hatte sich ganz aufs Reiten konzentriert. Deshalb war sie bald wieder in ihren Gedanken versunken. Allerdings waren sie längst nicht mehr so düster ausgefallen. Nun aber schmerzte ihr der Rücken, die Zeit wurde ihr lang. Vergebens suchte sie mit den Augen die nähere und weitere Umgebung ab, fand jedoch kaum einen Hinweis auf das Nahen der Stadt. Dabei war sie sicher, die Zinnen der gewaltigen Marienburg schon auf große Entfernung hin erkennen zu müssen.
    »Weit kann es nicht mehr sein.« Caspar wirkte unsicher. Auch er schien überrascht, dass ihr Ziel noch nicht in Sicht gekommen war. Erstaunlich lange war ihnen auch kein Wanderer oder Reiter mehr begegnet. Dafür wurde der Wald um sie herum stetig dichter. Der Weg entfernte sich schließlich in einem weiten Bogen vom Fluss, führte eine steile Anhöhe hinauf. Als sie den höchsten Punkt erreichten, lichtete sich das Gestrüpp. Caspar lenkte den Braunen zum Rand der Kuppe und schob die Zweige auseinander. So erhaschten sie endlich den ersehnten Blick in die Ebene, die diesseits des Nogats von einem gewaltigen Bauwerk mit unendlich vielen Türmen, wuchtigen Mauern und hoch aufragenden Dächern beherrscht wurde. Staunend hielt Agnes die Luft an, rief sich Laurenz’ Zeichnungen aus seinem Skizzenbuch in Erinnerung. Wie gut er die Anlage getroffen hatte! Die Stadt Marienburg schloss sich im Süden an die Ordensfestung an. Selbst aus dieser großen Entfernung war der von Heinrich von Plauen angelegte Wall gut erkennbar. In einem kunstvoll verschachtelten Mauer-Graben-Zwinger-System umschlang er die Stadt mit zum Teil vierfachen Mauerringen. In jeder Himmelsrichtung ragte ein gewaltiger Turm als Einlass aus den Mauern heraus. Inmitten des gleichförmigen Häusermeers war eine dreischiffige Backsteinkirche zu erkennen. Vor den Mauern der Stadt fanden sich mehrere Ansammlungen von Zelten und Verschlägen, auch diese in strengster Ordnung aufgeschlagen. Offenbar lagerten dort die böhmischen Söldner, die der Hochmeister des Ordens für seinen Feldzug gegen den Preußischen Bund in Dienst genommen hatte. An mehreren Stellen der Zeltstädte stieg Rauch empor, vermutlich Lagerfeuer, an denen sich die Männer wärmten. Schloss, Stadt und Zeltlager verbreiteten eine friedliche Stimmung. Nichts deutete darauf hin, dass dort unten Unstimmigkeiten herrschten oder gar Reisende hinterrücks überfallen wurden.
    »Endlich!«, rief Agnes. »Lass uns schnell weiterreiten. Sonst schließen die Tore, ehe wir am Ziel sind. Oder denkst du, die Männer in den Zelten werden uns gefährlich?«
    »Ich glaube kaum, dass wir für sie sonderlich interessant sind. Man sieht uns an, wie wenig wir bei uns tragen. Schau nur!« Mit der ausgestreckten Rechten wies er auf ein Lager vor der südöstlichen Stadtmauer. Es sah aus, als bildete sich dort auf freiem Feld eine Menschenansammlung. »Wir sollten uns wirklich sputen. Wer weiß, was sonst noch dazwischenkommen mag.«
    Damit wendete er das Pferd und hieß es bergab auf kürzestem Weg auf die Stadt zuhalten.
    Kaum hatten sie den Wald hinter sich gelassen, zeichneten sich die Umrisse der Stadt deutlich am Horizont ab. Die düsteren Wolkengebirge schienen von den Spitzen der Türme aufgespießt. Der Wind frischte auf und fegte weitere Wolken heran. Erste Tropfen fielen vom Himmel. Der Braune schüttelte seine zottelige Mähne und trabte an. Agnes krallte sich an den Sattelknauf, Caspar nahm die Zügel fester in die Hand. Aus den kleineren Feldwegen kamen einzelne Wanderer und Knechte mit Karren, die allesamt auf die Stadt zustrebten. Nicht weit vor der Mauer stauten sich einige Fuhrwerke. Der vorderste Wagen war in ein Loch geraten und bekam gefährliche Schlagseite. Der Zugochse bockte, die hoch aufgetürmte Ladung Fässer und Säcke neigte sich immer weiter zur Seite. Verzweifelt versuchte der Fuhrmann zusammen mit einigen Helfern, das Gefährt schnellstmöglich abzuladen, um es schließlich aus dem Loch herauszuhieven. »Die Söldner!«, rief einer der Männer plötzlich und zeigte nach vorn. In eiligem Galopp preschte eine Handvoll Reiter heran. Agnes stockte das Herz, Caspar fluchte und zügelte das Pferd.
    »Was sollen wir tun?«, flüsterte Agnes über die Schulter ihrem Bruder zu und zwirbelte die Enden des Halstuchs um ihre Finger. Auch Caspar fasste sich an das Tuch um seinen Hals. Doch er besann sich nicht lang, sondern gab dem Braunen kurz

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