Gold und Stein
entschlossen die Sporen. Unerwartet geschickt lenkte er es von der blockierten Straße hinunter auf ein Feld. Zunächst drohte der Braune in einer Pfütze einzusinken, strauchelte, fing sich wieder, stolperte noch einige Schritte, um dann beherzt loszurennen. Bang klammerte sich Agnes am Sattelknauf fest und beugte den Oberkörper nach vorn. Caspar lehnte sich über sie. So passierten sie die Unglücksstelle ein wenig abseits des Weges just in dem Moment, in dem auch die Söldner sie erreichten. Aus den Augenwinkeln beobachtete Agnes, dass sie, statt über die wehrlosen Fuhrleute herzufallen, bereitwillig ihre Hilfe anboten, um den verunglückten Wagen aus dem Loch zu ziehen.
Kurz vor dem östlichen Stadttor lenkte Caspar das Pferd zurück auf die Straße und hieß es im Schritttempo weitergehen. Das Tor erwies sich als etwa zwanzig Ellen hohes und fünfzehn Ellen breites Gebäude, in dem gut und gern ein mehrstöckiges Wohnhaus Platz gefunden hätte. Im oberen Geschoss zierten drei Spitzbogenfenster die Mauern, was darauf schließen ließ, das dort die Wachen untergebracht waren. Eine Marienstatue über dem Eingang hatte dem Tor seinen Namen verliehen.
»Was wollt Ihr in der Stadt?«, herrschte einer der Wachen Caspar an und kreuzte mit seinem Kameraden die Pike.
»Wir sind Kaufleute aus der Königsberger Altstadt und müssen einem der Baumeister auf der Marienburg eine wichtige Nachricht überbringen«, antwortete er. Zu Agnes’ Erstaunen nestelte er in seinem Rock herum, um kurz darauf ein Stück Papier hervorzuziehen. »Wollt Ihr das Schreiben sehen? Zunächst werden wir im Goldenen Adler einkehren.«
»Schon gut«, winkte der Wachmann ab. »Seht zu, dass Ihr Eure Unterkunft rasch findet. Es sind viele Fremde in der Stadt. Der Büttel lässt nicht mit sich spaßen, wenn er wen des Nachts ohne Grund auf der Straße antrifft.«
»Das ist ganz in unserem Sinn. Verratet mir bitte den kürzesten Weg zum Gasthaus. Meine Schwester friert und muss sich dringend aufwärmen.«
»Nun gut, dann lasst uns Eurer
Schwester
rasch zu Hilfe kommen.« Es behagte Agnes nicht, wie er das betonte, noch weniger gefiel ihr, wie er Caspar den Weg beschrieb. Als sie einige Schritte vom Tor entfernt waren, teilte sie ihm ihre Bedenken mit.
»Sei nicht so empfindlich. Diese Wachleute sind rauhe Burschen. Was denkst du, wie es in einer Stadt wie dieser zugeht, vor deren Toren seit Monaten Söldner lagern, ohne dass die Weißmäntel auf der Burg ihnen etwas entgegenzusetzen haben?«
»Sei vorsichtig, was du sagst«, mahnte Agnes. »Du wirst dir keine Freunde machen, wenn du hier so über die Kreuzherren sprichst. Soweit ich weiß, steht Marienburg nach wie vor fest auf ihrer Seite, auch wenn die Deutschordensritter die Festung als Sicherheit für den Sold an die Böhmen verpfändet haben.«
»Keine Sorge, Schwesterherz, ich bin vorsichtig. Schließlich bin ich nicht zum ersten Mal in einer Stadt, in der es heißt, auf der Hut zu sein. Als Kaufmann gilt es in der Fremde immer erst auszukundschaften, wie man sich am besten verhält, um nicht unangenehm aufzufallen. Wir wollen keine Kriege führen und keinen Streit beginnen, sondern Handel treiben und unsere Waren zum bestmöglichen Preis loswerden. Das heißt, man sollte mit allen gut klarkommen. Also, verlass dich auf mich, ich werde dich unbeschadet zu deinem Laurenz bringen. Doch zunächst sollten wir den Rat des Wachmanns befolgen und auf direktem Weg unser Gasthaus aufsuchen.«
»Woher hast du die Empfehlungsschreiben und kennst den Namen des Gasthauses?«
»Meinst du das hier?« Schmunzelnd zog er noch einmal das Papier aus seinem Rock und hielt es ihr dicht vor die Nase. Der stärker werdende Regen weichte es bereits auf, dennoch erkannte sie mit Entsetzen, dass es unbeschrieben war.
»Mein Vater hat mir beigebracht, immer ein Stück Papier bereitzuhalten, wenn ich auf eine Stadt zureite. So ein Schreiben macht Eindruck, besagt es doch, man kenne wichtige Leute und stehe unter dem Schutz von einer hochrangigen Person. Die Wachen an den Toren sind selten des Lesens kundig und winken aus Angst, bloßgestellt zu werden, ab, sobald sie auch nur den ersten Zipfel des Papiers erspähen.«
»Ich sehe schon, du bist mit allen Wassern gewaschen!« Schmunzelnd schüttelte sie den Kopf. »Bei dir sollte ich wohl mit allem rechnen. Was aber tust du, wenn die Wachleute das Schreiben doch einmal prüfen wollen?«
»Dann kann ich immer noch bestürzt feststellen, dass mir unterwegs wohl
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