Gold und Stein
bloßen Beine in den Leib fuhr. Mit der Hand rieb sie sich über die Stirn und spürte plötzlich einen Druck im Schädel. Sie meinte, ihr Kopf würde zerbersten. Im selben Moment stieg ihr Übelkeit die Kehle hinauf. Es schüttelte und würgte sie. Unruhe erfasste sie.
Good grief!
Kam das etwa daher, dass sie seit zwei Tagen ganz auf die Tropfen der Hundskötterin verzichtete?
»Anna«, rief sie kläglich und schlug mit der flachen Hand gegen die Wand zum Flur. »Anna!« Das klang schon etwas lauter, aber immer noch zu leise, um auf sich aufmerksam zu machen. Angestrengt lauschte sie. Im Haus rührte sich nichts. Der Ostwind rüttelte an den Fensterläden, die Hühner gackerten im Hof, der Hund bellte. Editha packte schiere Verzweiflung. Die Tropfen hatten längst ihre Wirkung eingebüßt. Gleich kippte sie besinnungslos um. Stunden würde es dauern, bis jemand vom Gesinde auffiele, dass sie nicht aus dem Schlafgemach gekommen war.
»Anna!« Ihre Stimme wurde weinerlich. Mit letzter Kraft stampfte sie mit den Füßen auf.
Damned old witch!
Sonst horchte das dürre alte Weib an jeder Tür, hörte die Flöhe auf dem Dachboden husten, wenn sie dort Aufregendes vermutete. Hilflos ballte Editha die Fäuste, was ihr kaum mehr gelang. Natürlich musste sie der verlebten Magd zugestehen, dass das Schlafgemach derzeit für ihre neugierigen Ohren nichts Aufregendes zu bieten hatte. Seit Wochen war Gernot fort, auch die Hundskötterin ließ sich seit Tagen nicht blicken. Bestimmt ging die Alte tatsächlich einmal ihren Pflichten in Küche, Haus und Hof nach. Erschöpft sank Editha aufs Bett zurück. Im selben Moment ließ sie ein unerträglicher Schmerz im Unterleib zusammenfahren. Sie kippte zur Seite, krümmte sich wie ein jämmerlicher Wurm und stieß ein schrilles »Anna!« aus.
Dieses Mal hallte der Schrei durchs ganze Haus. Ein Poltern und Lärmen im Erdgeschoss erhob sich, aufgeregte Stimmen wurden laut. Selbst die Schreiber und Ablader in der Diele mussten sie gehört haben. Zitternd vor Angst presste Editha sich die Hand auf den Unterleib. Er war hart wie Stein. Mehrmals strich sie mit den kurzen Fingern darüber.
For heaven’s sake!
Was war mit dem Kind? Ihr wurde schwarz vor Augen.
So plötzlich, wie der Schmerz gekommen war, verschwand er wieder. Ungläubig wurde Editha dessen gewahr. Abermals betastete sie sich den Bauch, versuchte angestrengt, in sich hineinzuhorchen. Dann erst rollte sie sich auf den Rücken, streckte die Beine aus, massierte sich den weicher gewordenen Leib und starrte blicklos nach oben, auf das Schnitzwerk an der Unterseite ihres Betthimmels. Auch der Druck im Kopf war verschwunden. Allmählich wurde ihr Atem gleichmäßiger, eine wohltuende Ruhe überkam sie. Das war noch einmal gutgegangen.
Draußen im Flur näherte sich Annas schweres Schlurfen. Wenige Augenblicke später stand die Alte an ihrem Bett und sah in einem Gemisch aus Mitleid, Argwohn und Abscheu auf sie herab. »Was ist, Herrin?«
Editha schauderte. Wie töricht von ihr! Warum ließ sie sich von der Magd nur derart einschüchtern? Entschlossen richtete sie sich auf. »Wo hast du gesteckt? Ich habe gerufen und geklopft, aber du bist nicht gekommen. Muss ich erst im Bett krepieren, bevor du dich zu mir bequemst? Reich mir mein Kleid und die Pantoffel. Lass eiligst nach der Hundskötterin schicken. Ich brauche sie hier. Dann geh in die Küche und richte mir einen Imbiss.«
»Um diese Zeit?«
»Willst du mir etwa vorschreiben, wann ich was esse?«
Verärgert riss sie Anna das Kleid aus den Händen, streifte es über, schnippte mit den Fingern, damit sie ihr den dunkelroten, mit Gold und Silber bestickten Surkot reichte, und zog ihn darüber. Über dem Bauch saß er knapp. Aus Annas Schnaufen hörte Editha heraus, wie sehr die Alte ihren Zustand missbilligte.
»Heute ist Freitag. Bald kehrt mein Gemahl aus Riga zurück. Endlich! Auch mein Sohn wird wieder bei uns eintreffen. Hast du alles gerichtet, damit wir die beiden mit einem guten Mahl empfangen können? Denk daran, den leeren Vogelbauer aus der Wohnstube fortzuschaffen. Wenn mein Gatte ihn weiterhin anschauen muss, wird ihn das nur ärgern. Was ist mit Wein und Bier, frischem Käse und gutem Schinken? Sind die Vorräte wirklich aufgefüllt? Was tust du eigentlich den ganzen Tag, wenn ich dir nicht ständig auf die Finger schaue?«
»Schon gut«, murmelte Anna und schüttelte das Bett auf, bückte sich nach dem Nachttopf.
»Verschwinde endlich in die Küche! Ich
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