Gold und Stein
Gernot nicht. Forschend schaute er ihr ins Antlitz, hob mit dicken Fingern ihre Lider an, um ihre Pupillen zu prüfen. Es war eine erniedrigende Prozedur. Tränen traten ihr in die Augen. Ihr wurde übel. Die Knie knickten ein, sie sackte weg. Im letzten Moment fing er sie auf, hielt sie an den Oberarmen fest und richtete sie halbwegs wieder auf. Um ihn nicht weiter zu erzürnen, unterdrückte sie einen Aufschrei. Wütend sah er sie an. »Sag endlich, was die Hundskötterin dir da eben eingeflößt hat!«
Mit einem Stoß nach hinten gab er sie frei. Zwar musste sie Halt suchend mit den Armen rudern, doch es gelang ihr, das Gleichgewicht zu halten. Als sie wieder fest auf den Beinen stand, rieb sie sich die schmerzenden Arme, richtete sich auf und sah ihn Versöhnung heischend an.
»Liebster, was fragst du so argwöhnisch? Wieso denkst du, ich ließe mir von der Hundskötterin weiterhin Zaubermittel eintrichtern? Das habe ich nicht nötig, wie du eben selbst festgestellt hast. Die Hundskötterin ist meine Wehmutter. Sie steht mir bei, damit es mir bis zur Niederkunft weiterhin gutgeht. Du weißt, was es heißt, in meinem Alter noch ein Kind auszutragen. Und du weißt auch, wie viel Unglück ich mit all meinen Schwangerschaften hatte. Willst du mir jetzt auch noch diese allerletzte Hoffnung auf ein Kind zerstören? Dabei tue ich das alles doch nur deinetwegen!«
Bei den letzten Worten schluchzte sie auf, fuhr sich mit dem Rücken der einen Hand über die Stirn, als gelte es dort Schweiß abzuwischen, und hielt sich mit der anderen den Leib. Langsam wankte sie zu einem Stuhl, plumpste wie ein schwerer Sack Mehl darauf und stützte den Kopf in beide Hände.
Mit tränenerstickter Stimme fuhr sie fort: »Und ich dachte, du freust dich, dass unserer langjährigen Liebe noch einmal das unverhoffte Glück beschieden ist, Früchte zu tragen. Hast du dir nicht immer noch Kinder mit mir gewünscht? Warum bist du ausgerechnet jetzt, wo es bald so weit sein wird, derart garstig zu mir? Das könnte unser Kind gefährden! Ach Gernot, Liebster …« Sie verlegte sich aufs Flehen. »Wir haben uns doch immer so sehr geliebt. Hast du vergessen, wie glücklich wir über all die Jahre miteinander gewesen sind? Wie viel Freude wir auch noch des Nachts in unserem Schlafgemach aneinander …«
»Es reicht!«, fuhr er dazwischen und baute sich breitbeinig, die Hände auf dem Rücken verschränkt, zwischen ihr und dem Fenster auf. Unruhig wippte er nach vorn auf die Fußspitzen, verweilte dort einige Atemzüge lang, sank wieder zurück auf die ganzen Füße, wippte erneut nach vorn. Es machte sie wahnsinnig. Am liebsten hätte sie ihm das unterbunden, aber das würde ihn nur von neuem reizen. Sie schaute auf sein Antlitz. Da das Licht von der Fensterseite nur mehr schwach hereinfiel, war keine Regung darin zu erkennen, allein am hellen Aufblitzen der Augäpfel ließ sich erahnen, in welcher Laune er sich befand.
»Kehrt man so nach langer Reise zu seinem liebenden Weib zurück?«, fragte sie schließlich leise. »Setz dich erst einmal zu mir an den Tisch, trink einen Schluck Bier und komm wieder zu dir. Ich kann mir denken, wie anstrengend die letzten Wochen für dich gewesen sind. Jetzt aber bist du wohlbehalten zu Hause, und alles wird gut. Auch Caspar wird vielleicht schon heute Abend, ganz sicher aber in den nächsten Tagen zurück sein.«
»Was heißt das?«, fuhr er auf. »Wieso ist Caspar fort? Warum erfahre ich das erst jetzt, ganz nebenbei? Hast du dich nicht im Frühjahr noch dagegen gestemmt, dass er uns verlässt? Was ist mit unserem Geschäft? Darum sollte sich Caspar kümmern, wenn ich unterwegs bin! In Zeiten, in denen uns die anderen Zunftgenossen jeden Abschluss neiden, muss einer von uns ständig hier sein.«
»Beruhige dich, Lieber, es ist alles gutgegangen. Niemand hat uns etwas tun wollen.« Über ihrem halbherzigen Rechtfertigungsversuch wurde ihr klar, wie töricht sie sich gerade verhalten hatte. Wie sollte sie das nur wiedergutmachen? In keinem Fall durfte er herausfinden, dass sie selbst nicht wusste, wo Caspar gewesen war. Ebenso wenig durfte er erfahren, dass sie nichts unternommen hatte, ihn zu suchen, sondern allein ihrem Gefühl vertraut hatte, er werde wohlbehalten wieder zurückkehren.
»Reg dich nicht gleich wieder auf. Es waren nur wenige Tage«, log sie hastig. »Unerwartet musste er in einer wichtigen Sache die Stadt verlassen. Längst aber hat er Bescheid gegeben, dass er und Agnes …«
»Er
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