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Gold und Stein

Gold und Stein

Titel: Gold und Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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überlief es kalt. Sie verzichtete darauf, der Hebamme ins Gesicht zu sehen, und murmelte leise: »Danke.«
    Auch wenn es ihr nicht behagte, die Hundskötterin allein in ihrem Schlafgemach zurückzulassen, blieb ihr nichts anderes übrig. Gernot war bereits in die Wohnstube hinübergeeilt.

12
    D ie alte Anna war dabei, den Tisch für ein fürstliches Mahl zu decken. Vorsichtig äugte Editha durch die Stube. Nach wie vor stand der leere Vogelbauer zwischen den Fenstern zur Straßenseite. Draußen war es an diesem letzten Oktobertag kaum einmal richtig hell geworden. Als ginge der Tag bereits wieder zur Neige, noch bevor er seinen Höhepunkt erreicht hatte, kroch bereits die erste Dämmerung herein. Sie tauchte die Stube mit den getäfelten Wänden, den dunklen Möbeln und der niedrigen Holzdecke in ein düsteres Licht. Gernot hatte sich vor dem wuchtigen Schrank aufgebaut, den er im Frühjahr für sein Zinnzeug und die Bücher hatte anfertigen lassen. Ein flüchtiger Blick genügte ihr, um festzustellen, dass sich zu den drei bisherigen Folianten ein neuer dazugesellt hatte. Missmutig schnaubte sie. Gernot bemerkte es nicht. Die Hände auf dem Rücken verschränkt, betrachtete er die aufwendigen Schnitzereien an den Türen und schenkte weder der Magd noch ihr Beachtung. Editha rieb sich die Arme, dabei fror sie kaum. Vom Ofen in der Zimmerecke her breitete sich wohlige Wärme in der Stube aus. Tatsächlich hatte Anna daran gedacht, ihn rechtzeitig anzuheizen. Hoffentlich legte sie nachher auch tüchtig nach, damit das Feuer nicht zu früh erlosch. Gestern Abend hatte Editha in einer ausgekühlten Stube ihr Abendbrot verzehren müssen.
    Es war an der Zeit, die Lichter anzuzünden. Gerade wollte Editha die Magd dazu auffordern, da sah sie, wie Gernot zur Fensterfront starrte. Ein letzter Strahl Helligkeit fiel auf sein Gesicht. Editha ahnte, was er vorhatte. Bevor sie ihm zuvorkommen konnte, stand er in zwei großen Schritten beim Vogelbauer und riss ihn vom brusthohen Ständer. Zornentbrannt drückte er den Käfig der verdutzten Magd gegen die Brust. »Nimm das verdammte Stück und lass uns allein.« Anna nickte, drehte sich um und eilte zur Tür hinaus.
    »Gernot, Liebster! Was ist nur los?«, fragte Editha, als sie endlich allein mit ihm war. Aufreizend langsam ging sie zu ihm, bemühte sich um ein gewinnendes Lächeln. In der Hoffnung, der Anblick ihres gesegneten Leibes würde ihn beschwichtigen, schob sie den gewölbten Bauch vor. Als er nichts dazu sagte, legte sie die Hand auf den Unterleib, strich mehrmals darüber. Auch darauf ging er nicht ein.
    »Zuerst einmal herzlich willkommen zurück zu Hause! Du glaubst nicht, wie ungeduldig ich auf deine Ankunft gewartet habe. Als deine Nachricht gestern hier eingetroffen ist, habe ich Anna sofort angewiesen, alles für deine Ankunft vorzubereiten.«
    »Und hast zugleich nichts Eiligeres zu tun gehabt, als die Hundskötterin ins Haus zu rufen, damit sie dir abermals ihre seltsamen Wundermittel aufschwatzt! Dabei hast du das doch gar nicht nötig! Was hat sie dir eben wieder eingetrichtert? Ein Pulver aus zerstoßener Schlangenhaut, gründlich durchmischt mit Wildschweinblut und zerriebenen Marderknochen? Oder Fledermausflügel, abgeschmeckt mit zarten Stückchen von Stierhoden und Krümeln von der Alraune? Hoffentlich hat sie daran gedacht, die Wurzel in der Johannisnacht zu ernten, sonst büßt sie am Ende ihre Wirkung ein. Zu was sollen ihre Zaubermittel überhaupt noch gut sein? Du bist doch wieder schwanger. Bis zur Niederkunft solltest du darauf verzichten. Wer weiß, was sie dir ständig unterjubelt. Hat das teuflische Zeug wenigstens gut geschmeckt? Spürst du die ersten Anzeichen seiner Wirkung? Komm her und lass mich sehen!«
    Ehe sie sich’s versah, nahm er ihren Kopf in beide Hände und zerrte sie unsanft ans Fenster.
    »
For God’s sake!
Was fällt dir ein? Du tust mir weh!«, versuchte sie, sich ihm zu widersetzen.
    »Hör endlich mit diesem verdammten Englisch auf! Seit achtzehn Jahren lebst du hier bei mir. Höchste Zeit, so zu reden, wie alle hier reden. Dafür solltest du etwas einnehmen.«
    Voller Zorn presste er ihr Gesicht noch enger zusammen. Sie musste den Mund öffnen, spürte die eigenen Zähne schmerzhaft an der Innenseite ihrer Wangen und meinte, kaum atmen zu können. Hilflos ruderte sie mit den Händen durch die Luft, versuchte, auf eigenen Füßen stehen zu bleiben, doch sie schwankte bedenklich. Ihre verzweifelte Gegenwehr beeindruckte

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