Gold und Stein
nicht, was der von mir will«, erklärte Caspar, als er Agnes’ und Laurenz’ ansichtig wurde. »Seit einer ganzen Weile schon läuft er einfach nicht fort. Selbst wenn ich nach ihm trete, bleibt er sitzen.«
»Es ist Euer Geruch«, erklärte Laurenz schmunzelnd. »Der gefällt ihm.«
»Wie schön. Mir gefällt gerade gar nichts mehr.« Lustlos nahm Caspar einen kleinen Stein und schleuderte ihn fort. Der räudige Hund verfolgte den Wurf mit den Augen, verharrte jedoch weiter brav zu seinen Füßen. Caspar seufzte.
»Falls es Euch hilft«, begann Laurenz. »Agnes sagt die Wahrheit. Meine Mutter war die Hebamme Eurer Mutter. Ihr beide seid die Kinder von Gunda Fröbel, die damals Kelletat geheißen und im Löbenicht gewohnt hat.«
»Nein, das glaube ich einfach nicht!« Verzweifelt schüttelte Caspar den Kopf, doch Laurenz gebot ihm wie schon zuvor mit einer beschwichtigenden Handbewegung zu schweigen. »Vertraut mir, es ist so. Ich kann mich noch sehr genau an den Tag vor siebzehn Jahren erinnern, an dem Ihr beide geboren wurdet. Jemand hatte mich losgeschickt, meine Mutter in der Wöchnerinnenstube aufzusuchen. Als ich bei den Kelletats ankam, war ich völlig überrascht, dort zwei Neugeborene vorzufinden. Das eine in den Armen der Mutter, das zweite in dem winzigen Korb vor dem Bett. Sie sahen sich kaum ähnlich, hatten allerdings beide ein auffälliges Feuermal im Nacken. Als ich darauf hinweisen wollte, jagte meine Mutter mich fort. Auf dem Weg nach draußen stieß ich mit der Hundskötterin zusammen, die außer sich schien und meine Mutter um Hilfe rief.
Einige Tage später wollte ich mir die beiden Kinder noch einmal ansehen. Es schien mir ein Wunder, dass eine Frau gleichzeitig einem Mädchen und einem Jungen das Leben schenken konnte. Da aber war das Haus schon verschlossen, der brave Kelletat tot und seine Frau mit den Kindern verschwunden. Meine Mutter hat das sehr getroffen. Noch Jahre später redete sie von dem Vorfall, weil sie nie erfuhr, was genau geschehen war. Im Löbenicht raunte man hinter vorgehaltener Hand, Kelletats Tod wäre kein Unfall gewesen. Deswegen wäre die Frau mit dem Kind und ihrer Mutter spurlos verschwunden. Als ich meine Mutter darauf ansprach, warum man immer nur von einem Kind der Kelletats redete, wusste sie keine Erklärung dafür. Wir haben noch oft darüber gerätselt. Bis aufs Sterbebett hat meine Mutter die Geschichte beschäftigt. Kurz vor ihrem Ende hat sie mir anvertraut: ›An ihrem Mal werden sich die Kinder einst erkennen.‹ Nun sagt selbst, mein lieber Fischart: Ist es nicht genau so gekommen? Habt Ihr Eure Schwester nicht an dem Mal im Nacken erkannt?«
Behutsam legte er den linken Arm um Caspars Schulter. Agnes rührte es, wie behutsam er mit ihrem Bruder umging. Caspar kämpfte sichtlich mit dem eben Gehörten, nahm jedoch Laurenz’ Angebot an und lehnte den Kopf gegen seine Schulter.
Als Agnes die beiden so vertraut miteinander vor sich sah, quoll ihr Herz über vor Liebe. »Danke dir, Liebster!«, sagte sie leise und nahm Laurenz’ rechte Hand. Dabei fühlte sie die beiden steifen Mittelfinger, strich zart über sie. Um Laurenz’ Mundwinkel zuckte es. Als er ihr das Gesicht zuwandte, strahlten seine verschiedenfarbigen Augen. Ihr Herz frohlockte. »Wirst du uns jetzt nach Königsberg begleiten?«
11
H eaven forbid!
Als sie den nackten Fuß aus dem Bett streckte und auf den eisigen Boden setzte, fragte sie sich, was ihr heute wohl bevorstand. Die beiden vergangenen Wochen waren alles andere als ruhig verlaufen. Kaum wollte sie mehr an die hässliche Szene mit Gunda, den beiden Kindern und der Hundskötterin denken. Wenigstens wusste sie inzwischen, woran sie war, und hatte zu ihrer alten Zuversicht zurückgefunden. Das rührte sicher auch daher, dass sie mit den Tropfen und Tinkturen der Hundskötterin vorsichtiger geworden war. Immer häufiger schluckte sie nur die Hälfte oder »vergaß« ein übers andere Mal, davon zu nehmen. Zu ihrer Verwunderung schien es ihr bislang nicht zu schaden. Im Gegenteil. Doch genug davon! Sie sollte aufstehen. Sowohl Caspar als auch Gernot hatten Nachricht geschickt, dass sie in den nächsten Tagen zurückkehren würden. Je eher sie sich um die Vorbereitungen für ein angemessenes Willkommen kümmerte, desto schneller würde die Zeit bis zur Ankunft der Ersehnten vergehen.
Vorsichtig setzte sie auch den zweiten Fuß auf die kalten Holzdielen, unterdrückte das zittrige Frieren, das ihr von den Füßen über die
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