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Gold und Stein

Gold und Stein

Titel: Gold und Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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weggenommen? Was hätte die Kleine für ein schönes Leben bei uns gehabt! Wir vier wären unendlich glücklich miteinander geworden. Wenigstens jetzt aber ist es mir gelungen, sie für mich zu gewinnen und Gunda ein für alle Mal aus den drei Städten Königsberg fortzujagen. Und wieder war es die Hundskötterin, die mir zur Seite gestanden hat, nicht du. Glaub mir, nie mehr wird Gunda es wagen, uns unter die Augen zu treten oder gar eine Anschuldigung gegen dich zu erheben! Sie ist am Ende. Dieses Mal ist das wirklich so. Für immer wird sie aus unser aller Leben verschwinden.«
    »Freu dich nicht zu früh«, entgegnete er trocken.
    »Was soll das heißen?«
    Stumm sah er sie an, erhob sich gemächlich von seinem Platz und baute sich dicht vor ihr auf. Sie spürte seinen warmen Atem auf ihren Wangen, unterschied jede einzelne Pore auf seiner klobigen Nase. Die Haare seines rotgefärbten Bartes zitterten leicht. Der Blick seiner wässrigen Augen war prüfend auf sie gerichtet.
    Da fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Erst schlug sie sich die Hand vor den Mund, dann brach es unbeherrscht aus ihr heraus: »Du hast also schon mit der elenden Klepperin geredet? Hast dich wieder einmal von ihr umgarnen lassen? Gleich hätte ich es wissen können. Deine seltsame Laune hätte mir Warnung genug sein müssen.«
    Sie stemmte die Hände auf die breiten Hüften, verengte die blauen Augen zu schmalen Schlitzen und reckte die Nase in die Luft. Gernot schwieg. Das reizte sie noch mehr. In bösem Ton setzte sie nach: »Oder willst du etwa andeuten, es wäre alles noch viel schlimmer? Hast du seit damals etwa gar nichts dazugelernt? Ist es ihr wieder gelungen, dich ins Bett zu zerren und dich für dieses angeblich eine Mal über Jahre, ach, was sag ich, Jahrzehnte, wenn nicht gar für dein ganzes Leben zu bestrafen? Und mich noch mit dazu?«
    Schrill hallten die letzten Silben durch die Stube. Die Umrisse von Stühlen, Tisch und Schrank zeichneten drohende, dunkle Gestalten. Das Knistern des im Ofen brennenden Holzes heizte die düstere Stimmung weiter an.
    »Du bist vollkommen irr«, sagte Gernot ruhig und ging gemessenen Schrittes dicht an ihr vorbei aus der Stube.
    »Rotting son of a whore!«,
zischte sie gegen die zufallende Tür und stampfte zornig mit dem Fuß auf. Die Fäuste geballt, trat sie ans Fenster und starrte in die aufziehende Nacht. Wieder spürte sie einen grässlichen Druck im Schädel, presste sich die Fäuste gegen die Schläfen. Es wurde schlimmer und schlimmer. Sie musste doch wieder das Pulver der Hundskötterin nehmen, dringend, sonst platzte ihr gleich tatsächlich der Kopf.
    Ihre Finger zitterten, als sie nach dem Beutel am Gürtel tasteten, die Phiole mit dem Pulver herauszogen. Hastig entkorkte sie das Gefäß, wollte es schon an die Lippen setzen. Dann stockte sie, hielt das Gefäß prüfend gegen das schwache Licht, das vom Fenster hereinfiel. Weder der Geruch noch die Beschaffenheit der Rezeptur schreckten sie. Trotzdem zögerte sie. Wollte sie das Pulver wirklich wieder schlucken? Hatte Gernot nicht recht mit seiner Behauptung, das Zeug der Hundskötterin vernebele ihr die Sinne? Zwei Tage war sie ohne es ausgekommen. Nichts Schlimmes war geschehen. Nur, seit sie eben von neuem davon genommen hatte, war ihr so merkwürdig geworden. Nachdenklich betrachtete sie das Gefäß in der rechten Hand, tastete mit der linken über die Brust, bekam das Band mit dem Medaillon zu fassen. Vorsichtig zog sie es unter ihrem Kleid hervor und betrachtete das stark abgegriffene Porträt im letzten Tageslicht dicht vor dem Fenster. Eine fremde Frau mit offenem, glattem Haar und einer beeindruckenden Nase war darauf abgebildet.
    Plötzlich musste sie lachen. Niemand in ihrer Familie, erst recht keine der weiblichen Angehörigen, hatte jemals eine solche Nasenform gehabt. Wie hatte sie nur so einfältig sein können und sich von der Hundskötterin derartigen Unsinn einreden lassen? Mit einem entschlossenen Ruck riss sie das Band vom Hals, öffnete das Fenster und schleuderte erst das Medaillon und dann die Phiole mit dem Pulver in hohem Bogen hinaus. Noch bevor sie es unten auf dem Straßenpflaster aufschlagen hörte, schloss sie das Fenster wieder. Die Hände auf dem Riegel, legte sie die Stirn gegen das kühle Glas. Die Kopfschmerzen waren nicht mehr so stark, ebenso hatte der Druck hinter der Stirn nachgelassen. Wenn sie nur zwei, drei weitere Tage durchhielt, würde es ihr gelingen, von dem Teufelszeug ganz

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