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Gold und Stein

Gold und Stein

Titel: Gold und Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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als nur auf die Erfüllung ihrer zügellosen Fleischeslüste hoffte. Inständig sehnte sie sich danach, die Befriedigung derselben würde noch einmal Früchte tragen und sie wieder ein Kind empfangen lassen. Ihre Finger tasteten nach dem braunen Säckchen, das die Hundskötterin ihr anvertraut hatte. Vielleicht war ihr in dieser Nacht Glück beschieden.
    Ihr Blick wanderte weiter über die satten, grünen Wiesen des Rossgartens. Zwischen den Obstbäumen grasten die Pferde der Ordensritter. Bewaffnete beaufsichtigten die kostbaren Tiere, ihrerseits streng bewacht vom ordensritterlichen Stallmeister. Bedrohlich nah reichte die Lagerstatt der aus Böhmen und Mähren gedungenen Söldner an die Koppel heran. Die dunkelbärtigen Männer hausten in einem bunten Gemisch aus Zelten und notdürftig aus Ästen, Büschen und Decken gezimmerten Unterständen. Es erstreckte sich vom hinteren Rossgarten hügelaufwärts bis zum Steindamm im Norden der Altstadt. Längst waren dort die alten Obstgärten verschwunden. Editha sah zum trutzigen Befestigungsring um Königsberg hinüber. Ein letztes Mal für diesen Tag zauberte die untergehende Sonne ihr Lichtspiel auf die roten Backsteinmauern, ließ sie golden schimmern. Die Umrisse der nahen Altstadt zeichneten sich scharf darüber ab. Mitten aus den unzähligen Türmen und Giebeln ragte der achteckige Haberturm im Nordosten der Burganlage empor. Bei dem Gedanken, wie nah der vollständige Abriss des imposanten Bauwerks vor einem Jahr noch bevorgestanden hatte, schauderte Editha. Gleich nach der Vertreibung der Ordensritter hatten die Altstädter und Löbenichter begonnen, die südliche Vorburgmauer sowie Teile des Haupthauses abzutragen. Mehr als ein Dutzend Bürger waren so zu glücklichen Besitzern eines prächtigen Steinhauses geworden, das aus den Beutestücken errichtet worden war. Nun aber, da sich die Bürger der Altstadt wie des Löbenichts dem Druck der Gewerke gebeugt und die Rückkehr zur Ordensherrschaft gutgeheißen hatten, waren sie emsig darauf bedacht, die alte Pracht auf dem Burgberg schnellstmöglich wiederherzustellen. In unterwürfiger Demut traten sie Reuß von Plauen und seinen Mannen entgegen. Wie schnell sich das Rad der Fortuna drehte! Kaum wähnte man sich oben, erwies sich der mühsam erklommene Gipfel bereits als Scheitelpunkt, von dem es steil bergab zu gehen drohte.
    Seufzend zog Editha die Kapuze ihrer Heuke tiefer ins Gesicht. Es wurde höchste Zeit, das Laakentor zu erreichen, bevor es geschlossen wurde. Sie äugte gen Süden, schielte zum Hundegatt hinüber. Hinter den Masten der im Pregel dümpelnden Schiffe erspähte sie die Mauern des Kneiphofs. Waren obenauf nicht Umrisse von Soldaten zu erkennen? Gewiss ließen die Belagerten auf der Mauerkrone Wache gehen, um einem Überraschungsansturm der Ordensritter vorzubeugen. Hoffentlich geschah nichts, bis Editha die sichere Mauer um die Altstadt erreicht hatte. Nicht zum ersten Mal verfluchte sie den weiten Weg, den sie vom Anwesen der Hundskötterin nahe der alten Stadtschmiede an der Laak bis zu ihrem eigenen Haus in der Altstädter Langgasse unweit des Marktes zurückzulegen hatte. Seit Wochen lungerten im Schatten der Belagerung viele Fremde in der Gegend herum, darunter äußerst zwielichtige Abenteuerlustige sowie fahrendes Volk aus aller Herren Länder. Die Büttel wurden ihrer kaum Herr. Selbst in den vorgerückten Abendstunden kehrte innerhalb der Stadtmauern nur schwerlich Ruhe ein. Das milde Frühlingswetter der letzten Tage tat ein Übriges, bis spät in die Nacht in allen Winkeln ausgelassene Stimmung vorherrschen zu lassen.
    Noch bevor Editha das von einer steinernen Bildsäule der Heiligen Jungfrau Maria geschmückte Laakentor erreichte, drang bereits das gierige Grunzen von Schweinen an ihr Ohr. Seit Jahr und Tag tummelten sie sich im Stadtgraben, üppig gemästet mit den nahrhaften Küchenabfällen der Städter und Burgleute. Der strenge Geruch des Borstenviehs widerte Editha an. Geringschätzig hielt sie sich den Zipfel ihrer Heuke vor die Nase.
    »Wer seid Ihr, Fremde?«, herrschte sie eine der Torwachen an und kreuzte mit seinem Gegenüber die Piken.
    »Lasst mich durch, wenn Ihr keinen Ärger haben wollt. Mein Gemahl ist der ehrwürdige Kaufmann Gernot Frischart aus der Langgasse.« Unwirsch nahm sie den Stoff vom Gesicht und blitzte den graubärtigen Wachposten böse an.
    »Schon gut«, wisperte der zweite Posten seinem übereifrigen Kumpan zu. »Lass sie durch. Die Fischartin kommt

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