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Gold und Stein

Gold und Stein

Titel: Gold und Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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Zerknirscht sah er sie an. Seine Lippen bebten, die verschiedenfarbigen Augen glänzten verräterisch. »Es war nicht recht von mir, falsche Hoffnungen in Euch zu entfachen.«
    »Falsche Hoffnungen?« Vor Empörung überschlug sich ihre Stimme. »Meint Ihr, gerade eben oder überhaupt bei allem, was Ihr mir seit unserer ersten Begegnung erzählt habt?«
    »Wie ich eben gesagt habe, Agnes: Am besten vergesst Ihr alles. Tut, als wären wir uns nie begegnet. Ich habe mich getäuscht und schäme mich dafür, Euch unvorsichtigerweise da mit hineingezogen zu haben.«
    »Wobei habt Ihr Euch getäuscht?« Plötzlich vergaß Agnes alles, was sie über Anstand und züchtiges Betragen gelernt hatte. Empört schrie sie ihn an: »Ihr seid keiner Täuschung erlegen, das wisst Ihr genauso gut wie ich. Dass Ihr mich als diejenige erkannt habt, deren Geschichte Euch seit Euren Kindertagen nicht mehr loslässt, muss ein Zeichen sein. Bitte, Laurenz, begreift das doch endlich! Ihr konntet mich nicht vergessen, weil das Schicksal uns füreinander bestimmt hat. Mein Feuermal sollte Euch das zeigen.«
    Beharrlich wich er ihrem Blick aus.
    »Gut«, bezwang sie mühsam das Beben in ihrer Brust. »Wenn Ihr schweigt, dann muss ich das wohl so hinnehmen. Verstehen werde ich es nie, geschweige denn, je aus meiner Erinnerung löschen können. Doch was soll ich anderes tun?« Sie hielt inne, betrachtete ihn abermals prüfend. »Verratet mir wenigstens, was damals im Königsberger Löbenicht geschehen ist und warum meine Mutter mir nicht die Wahrheit sagt.«
    »Ich weiß es nicht«, entgegnete er leise und gab ihre Hände frei, richtete die Augen über ihren Kopf hinweg auf die Front des nahen Rathauses. »Glaubt mir, liebste Agnes, ich weiß es wirklich nicht, warum Eure Mutter nicht mit Euch über die Vergangenheit spricht.«
    »Ihr seid grausam!« Sie ballte die Hände zu Fäusten und trommelte gegen seine breite Brust. »Ihr seid so unendlich grausam zu mir! Erst stehlt Ihr Euch auf ganz hinterhältige Weise in mein Herz, und dann sät Ihr Zwietracht zwischen meiner Mutter und mir, verwirrt mir die Sinne, raubt mir den Verstand und zerstört alles, was mir bislang lieb und teuer war. Und wenn Ihr Euer Ziel erreicht habt, zieht Ihr Euch rücksichtslos von mir zurück.«
    Kurz hielt sie inne, lauschte den eigenen Worten nach, um ihn im nächsten Moment erbost anzuschreien: »Haut ab, verschwindet aus meinem Leben und kehrt nie mehr hierher zurück!«
    In den letzten Schlag gegen seine Brust legte sie alle Kraft, die sie aufbrachte.
    »Agnes, Liebste, nicht!«, stieß er aus. Sie aber riss sich den Umhang von den Schultern und schleuderte ihn in den Dreck vor seinen Füßen.
    »Bringt das zurück zu den Mägden! Die zwei werden sich freuen, wenn Ihr ihnen mehr Beachtung schenkt.«
    Flugs machte sie kehrt und stürzte die Rechte Straße Richtung Silbernen Hirschen davon.

10
    D ie Abenddämmerung entzündete ein beeindruckendes Farbengewitter am Horizont. Maiabende wie dieser weckten Hoffnung auf einen prächtigen Sommer. Goldrot versank die Sonne in der Ferne, tauchte in ein Meer aus graublauen Wolkenfetzen. Kühler Wind kam auf, blies dickere Wolken heran. Immer schneller wechselte der Himmel seine Farben, schillerte von dunstig blau über golden-weiß bis glühend rot.
    Vom schnellen Laufen außer Atem blieb Editha mitten auf der menschenleeren Straße stehen und beobachtete das Schauspiel in den Lüften. Ihr schwerer Busen bebte heftig von der gerade durchlebten Wut. Wie jeden Donnerstag war sie bei Hermine Hundskötter gewesen.
Blasted old shrew!
Dass ihre frühere Hebamme noch immer solche Macht über sie besaß, erzürnte sie. Es hatte den Anschein, als könne sie den Fängen der gerissenen Hexe zeit ihres Lebens nicht mehr entrinnen. Sie legte sich die Hand auf die Brust, zwang sich, ruhiger zu atmen. Starr sah sie gen Westen, richtete ihre Aufmerksamkeit ganz auf den glutroten Sonnenball. Bald tat das friedliche Bild des sich im dunstblauen Abendhimmel auflösenden Lichts seine Wirkung, und Editha begann sich auf die bevorstehende Nacht mit Gernot zu freuen. So viele Jahre sie auch schon miteinander lebten, so heftig loderte nach wie vor die Leidenschaft zwischen ihnen. Schloss sich des Abends die Tür ihres Schlafgemachs, entbrannte in ihnen beiden ein schier unersättliches Begehren. Eigentlich waren dabei die Mittel der Hundskötterin überflüssig. Die brauchte Editha lediglich, weil sie ihren achtunddreißig Jahren zum Trotz auf mehr

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