Gold und Stein
jeden Donnerstag um diese Stunde hier vorbei. Offenbar hat sie vor den Toren der Stadt wichtige Geschäfte.«
»Das geht Euch gar nichts an«, brauste sie auf, verzichtete aber auf weitere Drohungen, sobald die Posten ihr den Weg freigegeben hatten. Sie war zu spät dran, um sich auf eine Auseinandersetzung einzulassen. Ohnehin missfielen Gernot die regelmäßigen Gänge zur Hundskötterin, da musste sie ihn durch zu langes Ausbleiben nicht zusätzlich reizen, noch dazu, da sie für die Nacht andere Pläne mit ihm hatte.
So gut wie die Wachen am Tor aufpassten, wer in die Stadt hineinwollte, so wenig achteten sie darauf, was sich nur wenige Schritte weiter drinnen in den Gassen abspielte. Eine Horde zerlumpter, schmutziger Kinder schoss auf Editha zu, die winzigen Hände bettelnd in die Luft gestreckt.
»Get off, you damned bastards!«
Verärgert zog sie sich den Zipfel ihrer Heuke wieder vor die Nase. Mochte die Ordensherrschaft wiederhergestellt sein, die Ordnung auf den Straßen war es noch lange nicht. Sie stapfte weiter, sorgfältig darauf bedacht, die kleinen Füße in den spitzen Schnabelschuhen keinem Dreck auszusetzen. Um diese Stunde wurden die Werkstätten ausgefegt, bevor sich die Läden und Türen zur Nachtruhe schlossen. Das hieß, besonders aufmerksam zu sein, was einem vor die Schuhspitzen gekehrt wurde. Kaum hob sie deshalb den Blick.
»Wohin des Wegs, schöne Frau?«, wurde sie unvermittelt angesprochen. Erschrocken fuhr sie auf. Ein dick beleibter Mann in löchrigem braunem Kittel versperrte ihr den Weg. In seinem Mund faulten die Zähne schneller, als er die Lippen vor dem kläglichen Anblick zu schließen vermochte. »So allein solltet Ihr um diese Stunde nicht mehr durch die Stadt spazieren. Kaum ist die Sonne am Horizont versunken, wagt sich allerhand lichtscheues Gesindel aus seinen Schlupflöchern. Fort, fort.« Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, jagte er mit einem ärgerlichen Winken zwei Knaben davon. »Gern biete ich Euch Geleitschutz an. So wird niemand mehr wagen, Euch zu nahe zu treten.«
»Bei dem Duft, den Ihr verströmt, ist das kein Wunder«, wies Editha ihn ab und floh auf die andere Straßenseite. Von den eingesessenen Bürgern der Altstadt waren nur wenige unterwegs. Die meisten zogen es vor, um diese Zeit längst beim Abendmahl zu sitzen. Editha beschleunigte ihre Schritte. Kaum hatte sie die nächste Straßenecke erreicht, tastete sie an ihrem Gürtel herum. Eine düstere Ahnung beschlich sie.
»Silly shrew!«,
fluchte sie, derweil ihre Finger ins Leere griffen. Die Börse war weg! Und das Kästchen mit dem Besteck gleich dazu. Lediglich den Rosenkranz und das Gebetbuch hatten die elenden Spitzbuben ihr gelassen. Gerissen waren sie, das musste sie ihnen zugestehen. Während der Dicke sie abgelenkt hatte, hatten die nichtsnutzigen kleinen Galgenstricke ihren Gürtel geplündert, und sie hatte es nicht einmal bemerkt. Wie hatte sie nur so einfältig sein können? Hatte die laue Abendstimmung draußen an der Laak ihr das Hirn vernebelt? Oder war es die sündige Vorfreude auf die Nacht mit ihrem Gemahl? Zum Glück befand sie sich bereits auf dem Heimweg. Zu ärgerlich, wenn ihr das früher passiert wäre. Ohne Geld wäre ihr Gang zwecklos gewesen. Nie und nimmer hätte die raffgierige Hundskötterin die neue Rezeptur herausgerückt, ohne dass sie ihr die Münzen auf den Tisch gezählt hätte. Höhnisch hätte sie das zum Anlass genommen, unverschämte Mutmaßungen über den Gang von Gernots Geschäften anzustellen, am Ende gar zu behaupten, den Fischarts ginge das Geld aus! Verbissen kniff Editha die Lippen zusammen, zog die Heuke enger um den rundlichen Leib. Ihre kurzen Finger hatten Mühe, den dick gebauschten Stoff vor der Brust zusammenzuraffen.
Der Gedanke an den gerade wieder einmal überstandenen Besuch bei ihrer früheren Hebamme wurmte sie nun, nach Entdeckung des Diebstahls, noch mehr. Selbst nach siebzehn Jahren ließ die meineidige Metze keine Gelegenheit aus, sie daran zu erinnern, wie sehr sie und Gernot auf ihr Wohlwollen angewiesen waren. Das düstere Geheimnis aus jenen Maitagen band sie bis an ihr Lebensende zusammen, und das nicht allein Caspars wegen. Hermine verstand es zudem, ihr immer weitere Zaubermittel aufzuschwatzen, um den Wunsch nach einem gemeinsamen Kind mit Gernot lebendig zu halten. Wie ein törichtes, folgsames Mädchen schluckte sie seit Jahr und Tag die bittersten Säfte, würgte die abscheulichsten Pulver hinunter. Insgeheim spukte
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