Gold und Stein
ihr dabei stets Gundas Geist durch den Kopf. Nicht genug, dass sie nach angeblich nur einer einzigen Nacht gleich ein Kind von Gernot empfangen hatte. Dank der Zwillinge war sie gleich doppelt gesegnet worden! Ein Stich fuhr Editha in die Brust. In ihrer englischen Heimat galt die Geburt von Zwillingen als besondere Gunst Gottes und nicht, wie hier im Ordensland, als Beweis für die Untreue der Mutter.
Wieso ausgerechnet Gunda einer solchen Gunst würdig befunden worden war, würde Editha nie begreifen. Noch dazu, wo sie selbst ein halbes Dutzend Kinder entweder bereits im Mutterleib verloren oder kurz nach der Geburt tot in den Armen gewiegt hatte. Ein Zuckerschlecken war das nicht gewesen, erst recht nicht, wenn sie in den Stunden tiefster Demütigung den kleinen Caspar ans Herz zu drücken und ihm eine gute Mutter zu sein hatte. Das Schlimmste war, dass sie insgeheim stets fürchtete, auch Gernot leide unter ihrem Versagen und sehnte sich darum nach Gunda. Wie viel Hoffnung aber blieb ihr noch auf ein eigenes Kind? Achtunddreißig war sie inzwischen, auch Gernot ging auf die vierzig zu. Gängige Hausmittel wie Beifuß, Nesselblätter, in Essig getrunkene Pfefferminze, Muskat, Liebstöckel oder Hauswurz hatten sich leider viel zu schnell als unwirksam erwiesen. Auch in Eselsmilch getränkte Wolle, der Lauf eines am ersten Freitag im März erlegten Hasen, die linke Hode eines schwarzen Stieres sowie das aus dem Maul eines Hengstes heraustriefende Wasser hatten nicht die erhoffte Wirkung gezeigt. Völlig umsonst war ebenso der in Branntwein gemischte Pferdemist gewesen, von sündhaft teuren Mitteln wie Safrankrokus oder Trüffelpaste ganz zu schweigen. Am liebsten hätte Editha ihre Verzweiflung laut herausgeschrien. Der Wind sollte ihre Worte aufgreifen und in die weite Welt davontragen. Dabei loderte das Feuer der Leidenschaft zwischen Gernot und ihr weiterhin heftiger, als es der Würde ihres Alters entsprach. Vom ersten Tag an war sie diesem Mann und seinen geschickten Künsten verfallen, jede Stunde der Zweisamkeit mit ihm hatte sie in die höchsten Gefilde der Lust geführt. Umso bitterer, dass bis zum heutigen Tag keine gewaltige Kinderschar nach außen hin von ihrem geheimen Glück zwischen den Laken kündete.
Sie reckte das Kinn, spürte den kühlen Lufthauch an der nach oben gebogenen Nasenspitze. Eine Horde grölender, betrunkener Söldner kam ihr vom Burgberg herunter entgegen. Sie rettete sich abermals auf die gegenüberliegende Straßenseite und suchte Schutz hinter einem leeren Karren, den ein alter Mann mühsam über das Pflaster schob. Hoch zu Ross trabte ein Deutschordensritter heran, scheuchte die besoffene Meute dem Laakentor zu. Auf dem nahen Marktplatz hielten vier Büttel Wache. Im letzten Tageslicht räumten die Krämer ihre Buden auf, verschlossen die Läden und gingen nach Hause. Editha grüßte den Käskrämer Bolte und nickte der Bäckerin Steinhaupt zu, die es beide eilig hatten, den langgezogenen Platz unweit der Deutschordensburg zu verlassen.
Im Weiterlaufen drückte Editha den winzigen Beutel der Hundskötterin fest an sich. Sie hütete ihn wie einen kostbaren Schatz. Deshalb war er vorhin auch den frechen Langfingern entgangen. Stellte sie sich jedoch vor, wie sie vor dem Zubettgehen das aus zerstampften Insektenlarven, Schneckenhäusern, Käfern und Spinnen bestehende Pulver hinunterwürgen sollte, schüttelte es sie. Schwer atmend blieb sie am Marktbrunnen stehen und lehnte sich an den gemauerten Rand. Selbst wenn sie das Pulver in Wein mischte, würde sie beim Trinken die unappetitlichen Bestandteile vor Augen haben. Gewiss würde Gernot sich weigern, das eigenartige Gesöff zu trinken. Warum konnte ihr das nicht einerlei sein? Längst hatte er die Hoffnung, seinen fruchtbaren Samen noch einmal ihrem Leib einzupflanzen, aufgegeben. Sie sollte froh sein, dass er des Nachts dennoch mit Wonne seinen ehelichen Pflichten nachkam. Welch grässlicher Alptraum, sich auszumalen, dass ihm eines Tages ein üppiges Gelage mit Unmengen Fleisch, Fisch und teuren Genüssen aus fernen Ländern mehr Spaß bereiten könnte als das Reiten auf ihren nackten Oberschenkeln oder das wollüstige Kneten ihrer drallen Brüste, ganz zu schweigen von der Schmach, wenn er sich einmal bei einer anderen Frau holen sollte, was er bei ihr nicht mehr fand. Editha ballte die Fäuste. Trotz ihrer achtunddreißig Jahre war ihre Schönheit noch nicht verblüht. Sie schob den üppigen Busen nach oben, fuhr mit den
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