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Gold und Stein

Gold und Stein

Titel: Gold und Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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Fingern der linken Hand am tief gezogenen Ausschnitt ihres Kleides entlang. Die kostspielige Robe aus dunkelroter Seide glänzte im immer schwächer werdenden Abendlicht. Ihre Finger wanderten zum Hals. Die Haut erwies sich als zart wie eh und je. Edithas Blick glitt wieder an ihrem Leib hinunter. Der straffe Busen gereichte einer Zwanzigjährigen zur Ehre, auch die fülligen Hüften sowie die schwanenweißen Schenkel, die das Seidenkleid knisternd umhüllte, wusste sie Gernot im Bett noch genauso aufreizend darzubieten wie in den ersten Jahren ihrer Ehe. Heißes Begehren flammte in ihr auf. Im Bann der Vorfreude auf die nächste Nacht schloss sie die Augen. Gernots lüsterne Gewalt in ihrem Schoß zu spüren, sich seiner anschwellenden Lust mit lautem Aufschrei hinzugeben, entlockte ihr schon jetzt ein tiefes Seufzen.
    »Ist Euch nicht wohl, werte Fischartin?«
    Holy moly!
Was tat sie da, mitten auf dem Markt? Sie zuckte zusammen, riss die Augen auf. Vor ihr stand Gernots langjähriger Zunftgenosse und Freund, Ludwig Perlbach. An seinem besorgten Blick las sie ab, dass er sie tatsächlich für krank hielt. »Danke, lieber Perlbach, es ist alles in bester Ordnung. Mir ist nur etwas warm.« Zur Bekräftigung hob sie die linke Hand und wedelte vor ihrem Gesicht herum, bevor sie die Kapuze der Heuke aus dem Gesicht zurückschob.
    »Gestattet mir, Euch trotzdem nach Hause zu geleiten. Weit ist der Weg zwar nicht, aber angesichts der anbrechenden Dunkelheit und des üblen Gesindels, das sich neuerdings in unseren Straßen tummelt, möchte ich Euch nicht allein gehen lassen.«
    Editha zögerte einen Moment, bevor sie seinen Arm ergriff, und betrachtete ihn verstohlen. Etwas an ihm befremdete sie. Sein Haar war licht geworden. Unter dem dunklen Barett lugten wenige weiße Büschel hervor. Das bartlose Gesicht wirkte müde, die leicht vornübergebeugte Haltung des Kaufmanns zeugte vom unweigerlichen Voranschreiten des Alterns. Seinen erschlafften Lenden halfen die Zauberkuren der Hundskötterin gewiss nicht mehr. Gegen ihren Willen lachte sie auf, schlug sich rasch die Hand vor den Mund und gab vor, husten zu müssen.
    »Seht Ihr«, erklärte Perlbach mit deutlicher Genugtuung in der krächzenden Altmännerstimme. »Auch wenn Ihr es nicht zugeben wollt, so höre ich doch, wie schlecht Ihr beieinander seid.«
    »Wie Ihr meint«, lenkte sie ein. Die wenigen Schritte legten sie sehr langsam zurück, was weniger an Editha als an dem Kaufmann lag. Er war nicht viel größer als sie und ebenfalls von eher gedrungener Statur. Durch den eng anliegenden Rock und die noch engeren Strumpfhosen stachen die aus den Fugen geratenen Formen an Bauch und Hintern geradezu ins Auge. Das Gehen in den modisch langen Schnabelschuhen bereitete ihm große Mühe. Mehrmals verfing er sich in den langen Gogeln. Editha war erleichtert, als die graue Steinfassade ihres im letzten Sommer auf zwei Stockwerke erhöhten Hauses in Sicht kam. Auch Perlbach atmete hörbar auf.
    »Da wären wir also«, erklärte er, sobald sie die Haustür erreicht hatten, um plötzlich nach ihrer Hand zu greifen und umständlich zu erklären: »Ihr wisst, Euer Gemahl und ich, also, der teure Gernot Fischart und ich, wir kennen uns seit frühesten Kindertagen. Bereits unsere Väter und deren Väter haben gemeinsam hier am Pregel …«
    »Was liegt Euch auf der Seele, mein Lieber?«, unterbrach sie ihn und bemühte sich um ein aufmunterndes Lächeln. »Worüber soll ich in Eurem Auftrag mit meinem Gemahl reden?«
    »Also, um es kurz zu machen: Wie Ihr wisst, hat die Altstädter wie die Löbenichter Kaufmannschaft bis vor wenigen Wochen noch die bündische Sache gegen den Deutschen Orden vertreten. Dann aber haben uns die Gewerke davon überzeugt, wie falsch das ist, und wir haben uns zur neuerlichen Huldigung vor dem ehrwürdigen Komtur Heinrich Reuß von Plauen durchgerungen.«
    »Fürwahr eine heldenhafte Tat«, entfuhr ihr.
    »Die Kneiphöfer jedoch bieten Plauen und seinen Ordensrittern weiterhin kühn die Stirn«, überging er ihren Spott, »haben gar Brunau, Swake, Dreher und den anderen bündischen Ratsherren aus der Altstadt bereitwillig Unterschlupf gewährt. Zudem ist es ihnen gelungen, die Unterstützung ihrer Zunftgenossen aus Danzig zu gewinnen. Unter Führung Henning Germans und des Bremer Kaufmanns Merten Holtorp sind die über den Wasserweg bis kurz vor den Kneiphof gelangt.«
    »Damit teilt Ihr mir keine Neuigkeiten mit«, ging Editha ungeduldig dazwischen.

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