Gold und Stein
Geviert. Scharf roch es nach Federvieh und Schweinen, vermischt mit dem Malzgeruch des Bierbrauens.
Agnes verharrte an der Hauswand, erspähte durch das Geäst des Apfelbaums eine Schwalbe, die sich unter der Traufe am Rand ihres halboffenen Nestes festklammerte, um die Jungen zu füttern. Die letzten Sonnenstrahlen, die das obere Geschoss des Hauses streiften, brachten das dunkelblaue Gefieder zum Schimmern. Gebannt verharrte Agnes unter dem Apfelbaum, tastete wie zufällig ihr blaurotes Feuermal im Nacken entlang. Warum konnte sie nicht ein Vogel sein, einzig darauf bedacht, Würmer und Mücken zu fangen, um ihren Nachwuchs zu versorgen? Wie viel einfacher hatten es die Tiere im Vergleich zu den Menschen! Liebe und die damit verbundenen schmerzhaften Entwicklungen kannten sie nicht. Was zählte, war einzig die Sorge um das Hier und Jetzt, das eigene Überleben und das der Nachkommen. Seufzend strich Agnes sich das braune Haar aus dem Gesicht, fuhr mit den Fingerkuppen die Augenbrauenbogen nach und richtete das Halstuch. Liebe brachte nur Unruhe. Dabei kostete bereits das tägliche Überleben viel Kraft. Ein letztes Mal sah sie zu dem Nest hinauf. Die Schwalbe war bereits fort, Nachschub aufzutreiben. Gierig reckten sich die winzigen Schnäbel über den Rand des Nestes in die Luft.
»Agnes, wo bleibst du nur?« Plötzlich stand Gunda in der offenen Tür des Sudhauses. Die Hände in die Hüften gestemmt, sah sie ihr ungeduldig entgegen. Schweren Herzens verließ Agnes den Platz unter dem Apfelbaum und ging zu ihr. Als sie ihr gegenüberstand, lächelte die Mutter und legte ihr den Arm um die Schultern.
»Schön, dass du endlich zurück bist. Hast du je einen Gedanken daran verschwendet, wie sehr ich mich um dich gesorgt habe?« Unerwartet zärtlich drückte sie Agnes an sich. »Erzähl mir, wie es bei Kollmann gewesen ist. Es freut mich, dass du wieder einmal mit nach Bürgersdorf gegangen bist. Eine gute Idee von Ulrich, dich gerade heute mitzunehmen. Als hätte er geahnt, welchen Trubel es hier bei uns geben würde. Ich hoffe, es hat dir dort gefallen.«
»Warum fragst du das immerzu? Wir haben ihm nur das Bier gebracht und kurz in seiner Stube gesessen.«
»Hat er euch ordentlich empfangen?«, hakte Gunda nach. »Du weißt ja, Kollmann ist ein alter Freund von Fröbel. Er hat viel von ihm gehalten. Kollmann ist ein kluger Mann und trotz der fehlenden Haare auf dem Kopf auch noch sehr ansehnlich für sein Alter. Das heißt, eigentlich ist er kaum älter als ich, für einen Mann also die beste Zeit seines Lebens. Und er legt viel Wert auf sein Aussehen. Stets ist er gut gekleidet, und sein Haus ist ebenfalls fein hergerichtet. Ich kenne seine Magd Trude, eine verlässliche Frau, die sich um Haus und Hof sowie den alten Schwäher umsichtig kümmert. Kollmann ist viel in Geschäften unterwegs, deshalb ist das umso wichtiger, seit die Frau im Hause fehlt. An ihm sieht man übrigens, wozu es ein Mann bringen kann, wenn er mit Verstand wirtschaftet. Er ist auf dem besten Weg, als Kaufmann Erfolg zu haben. Vor kurzem hat er ein Anwesen hier bei uns am Markt gekauft, direkt neben dem Rathaus. Er will es wohl umbauen lassen. Bald wird es weitaus prächtiger und größer sein als vormals und von Kollmanns neuer Stellung künden.«
Sie hielt inne. Eine zaghafte Ahnung keimte in Agnes, warum die Mutter Kollmann auf einmal in den höchsten Tönen lobte. Es überraschte sie, erst jetzt dieser Absichten gewahr zu werden. Wann war Kollmann zuletzt im Silbernen Hirschen gewesen, um mit Gunda zu reden? Warum war ihr da nichts aufgefallen?
»Bald wird er sich hier in Wehlau niederlassen und ein neues Leben beginnen«, berichtete Gunda weiter. »Nach dem Tod seiner geliebten Frau hält er Ausschau nach einer neuen Gefährtin. Es wird auch Zeit. Zwei Jahre Trauer sind mehr als genug.«
Agnes rang sich zu einem Lächeln durch. Fröbel lag seit mehr als einem Jahr unter der Erde, Gunda hingegen war in den besten Jahren. Ihre Schönheit war nach wie vor atemberaubend. Warum sollte sie sich länger als nötig im Gasthaus und beim Bierbrauen aufarbeiten? Niemandem stand es an, der Mutter weiteres Lebensglück zu verwehren.
»Es freut mich sehr, Mutter, dass du dich zu diesem Schritt durchgerungen hast. Nach all den Jahren voll schwerer, harter Arbeit hast du es dir wohlverdient, ein ruhigeres Leben an der Seite eines begüterten Mannes wie Kollmann zu führen.«
»Wieso sprichst du von mir? Längst bin ich aus dem Alter heraus,
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