Gold und Stein
Schwähers.
»Warum hast du nur so vorlaut sein müssen?«, schalt Ulrich Agnes, sobald sie die letzten Hütten von Bürgersdorf hinter sich gelassen hatten und wieder auf der kargen Landstraße unterwegs waren. Mit dem leeren Karren konnten sie schneller ausschreiten.
»Was heißt hier vorlaut?«, empörte sie sich. »Es war mein gutes Recht, nach dem Boten zu fragen. Kollmann ist schon immer etwas seltsam gewesen. Umso eigenartiger, dass er sich bei einem Boten der Ordensritter nach den Ereignissen erkundigt. Ist dir noch nie aufgefallen, dass etwas mit ihm nicht stimmen könnte? Wie kommt einer wie er zu der teuren Kleidung eines Kaufmanns? Woher nimmt er das Geld, Woche für Woche die halbe Schankstube im Silbernen Hirschen freizuhalten? Ganz abgesehen davon, ist er der Einzige, der einmal in der Woche zwei Fässer Bier von dir ins Haus gebracht bekommt.«
»Er ist ein alter Freund von Fröbel.«
»Aber nicht alle alten Freunde von Fröbel genießen eine solche Sonderbehandlung wie er.«
»Ich glaube, du tust gut daran, Kollmann künftig mit mehr Wohlwollen entgegenzutreten.«
Verblüfft blieb sie stehen, doch Ulrich schenkte dem keinerlei Beachtung. Wollte sie weiter mit ihm mithalten, musste sie rasch hinter ihm herlaufen. Für weitere Fragen fehlte ihr deshalb bald die Puste.
15
D en Rest des Weges von Bürgersdorf zurück nach Wehlau schwieg Ulrich beharrlich, ging aber ihr zuliebe wieder langsamer. Um sich zu beschäftigen, pflückte Agnes Blumen vom Wegesrand und flocht sie zu einem bunten Kranz. Ihn aufzusetzen stand ihr nicht der Sinn, wegwerfen aber wollte sie ihn auch nicht. Unschlüssig drehte sie ihn in der Hand.
Von Wehlau her kamen ihnen viele Menschen entgegen. Die ersten Feldarbeiter hatten bereits Sensen und Rechen geschultert und zogen mit den Fuhrwerken voller Heu nach Bürgersdorf zurück. Agnes warf einen Blick über die Wiesen. Insgeheim hoffte sie, noch einmal den Mann zu entdecken, der sie am Vormittag an Laurenz erinnert hatte. Er war nicht mehr da. Enttäuscht zupfte sie an dem Blumengebinde, schleuderte es schließlich in die Wiese. Ein kleines Mädchen, das bei der Heumahd geholfen hatte, holte es sich. Agnes winkte ihr zu, sie solle den Kranz behalten. Überglücklich setzte die Kleine ihn sich aufs Haupt.
Je näher sie der Stadt kamen, desto mehr Söldner mischten sich unter die Feldarbeiter. Die zerrissene Kleidung und die fehlenden Waffen zeugten davon, dass sie sich auf einem schmählichen Rückzug befanden. Offenbar hatten sie ihre Truppen verlassen und schlugen sich auf eigene Faust nach Hause durch.
»Kollmann hat also recht gehabt: Die Söldner der Bündischen sind aus Tapiau vertrieben«, stellte Agnes fest, als sie wenig später an dem Franziskanerkloster vorbeikamen, das anstelle der zerstörten Ordensburg schon vor mehr als hundert Jahren inmitten der sumpfigen Wiesen am Zusammenfluss von Alle und Pregel errichtet worden war. Einige Söldner hielten direkt darauf zu, hofften, von den Ordensbrüdern eine Schale Brei gegen den ärgsten Hunger sowie eine Bleibe für die Nacht zu erhalten. Direkt hinter dem bescheidenen Kloster ragte der trutzige Turm der Georgskapelle auf. Sie befand sich auf einer vorgelagerten Insel inmitten der Alle. Agnes hatte erzählen hören, sie sei vor nicht einmal zwanzig Jahren erbaut worden. Einige Steinmetze waren dort zugange. Das emsige Klopfen wehte mit dem Wind herüber. Agnes wurde bang. Wenn Laurenz dort zu tun hatte, könnte sie ihm gleich beim Stadttor begegnen. Aufmerksam schaute sie vor sich, sorgsam darauf bedacht, von weitem zu erkennen, wer ihnen entgegenkam. Zu ihrer Erleichterung und gleichzeitigen Enttäuschung erspähte sie jedoch niemanden mehr, der Laurenz auch nur annähernd ähnelte.
An der Weggabelung zur Alle folgte sie Ulrich auf dem Weg nach rechts, der auf das Stadttor zuführte. Von dort strömten noch mehr Menschen der Alle zu. Mit zufriedener Miene gingen die Händler nach Hause, die Kisten und Fässer leer, die Geldbeutel voll. Auch einige Fischer trugen leere Körbe heimwärts. Wieder musterte Agnes die Gesichter, suchte unter ihnen nach einem Schwarzbärtigen mit verschiedenfarbigen Augen. Flüchtig grüßte sie zwei Kaufleute aus Friedland, die von ihren hohen Rössern zu ihr hinunterwinkten. »Bis zum nächsten Mal!«, rief der eine und schwenkte gut gelaunt sein Barett.
»Wenn es denn ein nächstes Mal gibt!« Sein Kumpan sah weitaus verdrießlicher drein als er. »Wollen wir hoffen, die Bürger
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