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Gold und Stein

Gold und Stein

Titel: Gold und Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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sie unter den Arm, schlüpfte in die bereitstehenden Schuhe. Zum Glück schwang die Tür geräuschlos auf, auch die Holzdielen knarrten nicht. An der Tür zum elterlichen Schlafgemach blieb sie kurz stehen und lauschte. Alles blieb still. Beruhigt schlich sie weiter, stieg vorsichtig die Treppe hinunter.
    Die Dunkelheit in der Schankstube schien ihr undurchdringlich. Sorgsam hatte Griet die Fensterläden verschlossen, Ulrich hatte jeweils einen Balken als Riegel davor befestigt. Durch die Ritzen drang kaum Mondlicht herein. Agnes verharrte am unteren Treppenabsatz, um sich an das schwache Licht zu gewöhnen. Ihr Blick streifte umher, erspähte im hinteren Winkel die winzige Glut des Herdfeuers unter dem schützenden Messingschirm. Der sauber gescheuerte Kessel hing an der Kette tief darüber, bereit für eine neue, kräftige Suppe, die Griet gleich am Morgen zu kochen beginnen würde. Schon meinte Agnes, den würzigen Geruch in der Nase zu haben.
    »Tut es dir schon leid?«, hörte sie plötzlich Großmutter Lores Stimme von der anderen Seite der Stube. Sie erstarrte. Ihre Flucht war entdeckt, ehe sie begonnen war. Trotz des Schrecks bewies sie noch ausreichend Geistesgegenwart, ihr Bündel nicht zu Boden fallen zu lassen.
    »Hab keine Angst, mein Kind!« Langsam kam Lore auf sie zu. Weit streckte sie die kurzen Arme vor. Als sie dicht vor Agnes zum Stehen kam, lag ein zärtliches Lächeln auf ihrem faltigen Gesicht. Das Weiß der Augen schimmerte hell in der fahlen Dämmerung. Gütig sah sie zu Agnes auf, hob die Hand und strich ihr sanft über den Arm.
    »Von mir erfährt niemand etwas«, raunte Lore und zog sie ein Stück näher zum winzigen Feuerschein am Herd. »Doch so ganz ohne Abschied wollte ich dich nicht gehen lassen.«
    »Großmutter!« Mehr vermochte Agnes nicht zu sagen. Ein dicker Kloß verschloss ihr die Kehle.
    »Scht!« Beschwörend legte Lore den Finger auf die Lippen. »Wir wollen doch niemanden wecken. Komm, lass mich dich noch einmal in die Arme nehmen und an mein Herz drücken.«
    Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, ließ Agnes ihr Bündel lautlos zu Boden gleiten und fiel der kleinen, gedrungenen Frau um den Hals. Die Großmutter wiegte sie wie ein Kind, murmelte immerzu »scht, Liebes!« vor sich hin. Endlich drückte sie Agnes mit einem sanften Stoß von sich fort und bückte sich nach ihrem Gepäck, um es ihr entgegenzuhalten.
    »Du musst gehen. Lass Laurenz nicht warten. Wenn ihr heute nicht aufbrecht, wird es kaum mehr eine Gelegenheit geben. Gestern Abend noch kam die Nachricht, Reuß von Plauen wolle heute mit seinen Mannen aus Königsberg losziehen. Morgen schon werden sie vor unseren Toren auftauchen. Dann wird so schnell niemand mehr aus der Stadt hinausgelangen.« Aufmerksam musterte sie Agnes. »Vergiss nie, eure Liebe in Ehren zu halten. Sie ist einzigartig und das Beste, was dir je im Leben geschehen kann. Laurenz ist ein aufrichtiger Bursche. Er überlegt genau, bevor er etwas tut. Wenn er heute bereit ist, mit dir fortzugehen, so wird er künftig immer dazu stehen und dich beschützen und behüten wie sein eigenes Leben. Glaub mir, mein Kind, dazu ist nicht jeder bereit, auch wenn so manch einer vorgibt, es zu sein.«
    Abermals hielt sie inne, um Agnes zu betrachten.
    »Schau mich an, Liebes! Längst bin ich eine alte Frau. Mein lieber Ewald hat mich nur ein kurzes Stück meines Weges begleiten können. Dennoch denke ich nach wie vor ständig an ihn und weiß, unsere Liebe wird ewig währen. Einst hat er sich vor mich gestellt, um mich zu beschützen. Seither wartet er im Jenseits auf mich und bereitet dort alles für meinen Empfang vor. Eines Tages werden wir wieder vereint sein. Zeit meines Lebens habe ich in diesem Gedanken Trost gefunden. Unsere Liebe ist wahrhaftig gewesen. Ich bin sicher, das ist bei dir und Laurenz auch der Fall. Immer wird er für dich da sein.«
    Noch einmal reckte sie sich auf die Zehenspitzen, schloss die Arme um Agnes und drückte sie an sich. Einen Moment war Agnes, als schluchzte Lore. Sie musste hart mit sich ringen, nicht ebenfalls in Tränen auszubrechen. Schon ließ Lore sie los, wies zur Tür.
    »Jetzt geh, mein Kind! Und vergiss nie, welch schöne Zeit du hier gehabt hast. Deine Eltern waren dir immer gut. Auch wenn Gunda das nicht zeigen kann, weiß ich, dass du ihr Ein und Alles bist. Sei gewiss: Auch sie würde jederzeit ihr Leben für dich geben! Ich werde ihr sagen, warum du gehen musstest. Sie wird es verstehen, auch wenn sie

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