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Gold

Gold

Titel: Gold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Cleave
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konzentrierte sich vollkommen auf Sophie und blendete die qualvollen Botschaften, die Beine und Lungen an sie sandten, aus. Als sie in die letzte Kurve fuhren, sprühten Funken vor ihren Augen. Sie schoss aus der Kurve heraus auf die Zielgerade, spürte die Veränderung im Luftstrom und hörte das Surren der Räder, als Zoe sich aus ihrem Windschatten löste und mit ihr gleichzog. Fünfzehn Meter blieben sie auf einer Höhe. Kate mobilisierte jedes Atom ihres Körpers, und ganz langsam ließ Zoes Angriffskraft nach. Sie fiel zwei, drei Zentimeter zurück, dann eine Radlänge, und dann erkannte Kate mit kaltem, stillem Staunen, dass sie gewinnen würde. Sie überquerte die Ziellinie eine Fahrradlänge vor Zoe, löste den Druck auf die Pedale und ließ sich vom Rad zwei Runden tragen, während sie allmählich langsamer wurde. Sie drehte sich um und sah Zoe mit gesenktem Kopf und hängenden Schultern auf ihrem Rad sitzen.
    »Die nächste geht an mich«, keuchte Zoe.
    Kate schüttelte den Kopf. Sie konnte nicht sprechen, weil sie zu sehr außer Atem war, doch in ihr wuchs eine kleine behutsame Hoffnung.

Pädiatrische Intensivstation, North Manchester General Hospital
12.05 Uhr
    Sophie wachte stöhnend auf, und Jacks Herz machte einen Sprung. Ihre Stimme wurde durch die Maske gedämpft, er musste sich vorbeugen, um sie zu verstehen.
    »Dad?«
    »Ja?«
    »Weißt du was?«
    »Was?«
    »Wenn man stirbt, bleibt alles genauso, nur hat man eine leuchtende Linie um sich herum.«
    »Ich weiß, Liebes, ich habe die Filme gesehen.«
    »Es sind nicht nur Filme. Die MACHT gibt es wirklich.«
    Jack schaute ihr in die Augen und las die Angst in ihnen. Er schluckte. »Ja, Liebes. Es gibt sie wirklich.«
    Sophie lächelte langsam. »Ehrlich?« Ihre Stimme klang wie die einer Aufziehpuppe, die langsamer wurde.
    »Ehrlich«, sagte Jack.
    Sie schloss die Augen. »Ich habe mich noch nie so gefühlt.«
    »Doch, hast du. Du hast schon sehr viel Schlimmeres durchgemacht.«
    »Woher weißt du das?«
    »Ich bin dazu da, um mich für dich zu erinnern.«
    »Woher weißt du denn, dass du dich richtig erinnerst?«
    »Ich weiß es eben. Wenn du erwachsen bist, wirst du das verstehen. Dann siehst du alles viel klarer.«
    »Muss ich sterben, Dad?«
    »Nein, musst du nicht.«
    »Würdest du es mir denn sagen?«
    »Ja.«
    »Wirklich?«
    Jack fand irgendwie die Kraft, nicht zu zögern. »Ja, ich würde es dir sagen.«
    Sie schwiegen wieder. Es roch nach Urin und Bleichmittel. Beide forschten sie im Gesicht des anderen nach Zweifeln.
    Jack war erleichtert, als Sophie die Augen wieder schloss und er sich von der grausamen Aufgabe des Zuversichtlichseins erholen konnte. Dann erst begriff er entsetzt, was dieses Schließen der Augen bedeuten konnte. Sein Verstand passte sich der Situation zu langsam an. Er reagierte immer noch auf gewöhnliche Dinge, als wäre dies eine gewöhnliche Situation. Wenn sein Kind die Augen schloss, dachte er: Ruh dich aus. Er dachte nicht: Ruhe in Frieden.
    Wenige Minuten später öffnete Sophie erneut die Augen. Sie sah sich verwirrt um.
    »Wieso ist Mum nicht hier?«
    Jack drückte ihre Hand. »Sie ist hier, Liebes. Sie war die ganze Zeit da, während du geschlafen hast. Sie ist nur für ein paar Minuten aus dem Zimmer gegangen.«
    Sophie sah erleichtert aus. Ihr Kopf sank wieder aufs Kissen.
    »Dad, es ist so still hier drinnen.«
    »Ja.«
    Lange Pause. »Warum sind keine Ärzte hier?«
    »Wieso willst du Ärzte haben?«
    »Sie sollen was machen. Damit es mir besser geht.«
    »Sie sorgen dafür, dass es dir besser geht. Sie haben festgestellt, dass du eine Entzündung hast. Sie haben dir Antibiotika gegeben.«
    »Und wenn sie nur deshalb nicht hier sind, weil sie nichts mehr tun können?«
    »Sie tun genau das, was sie tun sollten. Und im Augenblick ist es am besten, wenn sie abwarten und du dich ausruhst.«
    »Warum sind wir dann hier und nicht zu Hause?«
    »Nur vorsichtshalber.«
    »Woher weißt du das?«
    »Weil die Ärzte es gesagt haben.«
    »Würden die Ärzte es dir sagen, wenn ich sterbe?«
    »Ja, das würden sie.«
    »Woher weißt du das?«
    »Das habe ich dir doch gerade gesagt! Erwachsene wissen solche Dinge eben. Es ist, als hätten wir eine Spezialbrille und könnten alles in 3D sehen.«
    Sophie wollte es schon abstreiten, doch dann bemerkte Jack einen listigen Blick in ihren Augen. Er verschwand sofort wieder, und Sophies Gesicht war so kindlich und unverstellt wie zuvor.
    »Wann bekomme ich denn die

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