Gold
Pulver trocken gehalten und gewagt, so knapp wie möglich zu gewinnen. Sie hatte elegant gewonnen. Tom befürchtete allerdings, dass sie es ein zweites Mal versuchen würde. Gleich am Anfang Vollgas zu geben, wäre hässlich und brutal, wenn auch effektiv. Das hätte er ihr gern gesagt, aber das war der Fluch eines Trainers: Man musste sich genau dann zurückhalten, wenn man am liebsten aktiv geworden wäre.
Er beobachtete, wie Kate an der Startlinie ihre Pedale doppelt und dreifach überprüfte. Er versetzte sich in sie hinein. Sie würde überlegen, wie sie das Rennen verlangsamen konnte, was nicht einfach war, da Zoe diesmal auf der Innenbahn fuhr. Wenn er ihr ins Ohr flüstern könnte, würde er ihr raten, wie eine Rakete abzugehen. Sollte sich Zoe entschieden haben, ebenfalls Vollgas zu fahren, könnte sie sich in Zoes Windschatten setzen, und falls Zoe langsam startete, könnte Kate sich vor sie setzen, langsamer werden und ihre Führung nutzen, um das Tempo zu diktieren.
Er verfluchte sich selbst und musste lächeln. So weit war es nach vierzig Jahren Leistungssport mit ihm gekommen: Der beste taktische Ratschlag für seine besten Fahrerinnen bestand einfach nur darin, so schnell wie möglich zu fahren.
Es war unerträglich, mit anzusehen, wie sich seine Mädchen aufstellten, um einander so wehzutun. In weniger als einer Minute würde der Starter vortreten, und drei Minuten später hätte sich ihrer aller Leben verändert. Mehr als zehn Jahre lang hatten Kate und Zoe eine intime Distanz gewahrt, die sie abwechselnd als Freundschaft und Konkurrenzkampf bezeichneten, doch der Abstand war stets geringer als ein vollendeter Satz, ein mühsamer Atemzug oder eine Radlänge gewesen. Dieses letzte Rennen war das Messer, das ihre Verbindung kappen und jede in ihr eigenes Leben stoßen würde.
Wenn er aber ganz ehrlich war, dann hatte er sich nicht so weit nach oben auf die Tribüne gemüht, weil er fürchtete, er würde Zoe sonst zum Sieg coachen. Er tat es, um dem Impuls zu widerstehen, an die Startlinie zu gehen und die beiden zu bitten, auf das Rennen zu verzichten. Ihr seid zweiunddreißig, hätte er am liebsten gesagt, warum gebt ihr nicht auf, ohne einander vorher umzubringen? Früher oder später müsst ihr sowieso von eurer olympischen Höhe herabsteigen und lernen, mit eurer verbliebenen Kraft still durch die Täler zu wandern.
Er hasste sich dafür, dass er diese letzte Konfrontation so beschleunigt hatte. Er hatte sie vor den Medien schützen wollen, wünschte sich aber, er hätte es anders angestellt. Er hob hilflos die Arme, hätte am liebsten ein Zeichen gegeben, damit sie einander ansahen und das alles begriffen. Vielleicht eine kreisförmige Bewegung gegen den Uhrzeigersinn, die so viel bedeutete wie: Wenn die Pfeife ertönt, vergesst bitte alles, was ich euch je gesagt habe.
Als der Starter von zehn herunterzählte und die Körper seiner Athletinnen sich anspannten, ließ Tom die Arme langsam sinken. Er war der beste Trainer, den er kannte. Er hatte nichts anderes im Leben und konnte sich absolut und vollkommen auf die Arbeit konzentrieren. Er wusste genau, wie man Menschen schneller machte, nicht aber, wie man sie zum Innehalten brachte.
Die Pfeife ertönte, und er setzte sich wieder hin. Es überraschte ihn überhaupt nicht, dass Zoe und Kate genau das taten, was er von ihnen erwartete, nämlich von Anfang an volles Tempo zu fahren. Weil Kate ihren schnellen Start vorausgeahnt hatte, gelang es Zoe nicht, einen Vorsprung herauszufahren, und als sie aus der ersten Kurve kamen, hatte Kate sich knapp hinter sie geklemmt. Bei diesem hohen Tempo musste Zoe die ganze Arbeit machen und büßte mit jedem Meter, den sie fuhren, die Energie ein, die sie in den beiden ersten Rennen gespart hatte. Sie segelte von unten hoch in die Kurve und wieder zurück, damit Kate den Luftwiderstand zu spüren bekam. Kate reagierte geschickt und folgte Zoe bei jedem Schlenker.
Als die zweite Runde begann, schaute Tom mit hämmerndem Herzen zu. Seine Fahrerinnen fuhren jetzt Höchstgeschwindigkeit, scherten bei fast sechzig aus und wieder zurück, wobei Kates Vorderrad nur wenige Zentimeter von Zoes Hinterrad entfernt war. Diese versuchte verzweifelt, sie abzuschütteln. Noch eine solche Runde, und die Kraft in Zoes Beinen wäre aufgebraucht, so dass Kate nur noch den richtigen Moment finden musste, um aus dem Windschatten an ihr vorbeizuschießen. Wenn Zoe Kate nicht bald abschütteln konnte, musste sie das Tempo
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