Gold
schlecht?«
Sophie schüttelte den Kopf.
»Kam es ganz plötzlich?«
»Ja.«
Kate hielt einen Waschlappen unter den Wasserhahn und wischte ihr übers Gesicht.
»Geht’s besser?«
Sophie lächelte zu ihr auf. »Viel besser.«
Kate hielt sie ganz fest und seufzte. Offenbar hatte sie ihr etwas Falsches zu essen gegeben. Dabei vertrug Sophie so vieles. Sie litt zwar an Allergien und Unverträglichkeiten, was bei Leukämie und der damit verbundenen Immunschwäche nur normal war. Aber der Diätberater hatte Kate geraten, fantasievoller zu sein. Konzentrieren Sie sich nicht auf das, was verboten ist. Denken Sie an die Millionen von natürlichen Lebensmitteln. Im Grunde kann Ihre Tochter fast alles essen.
Natürlich hatte er recht, dachte Kate, während sie den Waschlappen unter das Wasser hielt und dann auswrang. Sophie hatte eine Weizenunverträglichkeit und konnte keine Meeresfrüchte essen. Frisches Obst und kurz gedünstetes Gemüse war möglich, aber das mochte sie so gern wie alle anderen Kinder auch. Außerdem besaß sie kaum mehr Widerstandskräfte gegen Krankheitserreger. Alles musste gekocht oder geschält werden. Theoretisch konnte sie Fisch essen. Fisch ist die Supernahrung der Natur. Ein Nährstoffpaket mit Flossen. Mit Fisch kann Ihre Tochter neunzig werden.
Leider hasste Sophie Fisch. Sie verzog das Gesicht und spuckte ihn aus. Sie hatte nicht nur Leukämie, sie war auch erst acht Jahre alt. Es gab diverse Möglichkeiten, um Leukämie zu behandeln, aber nur ein Heilmittel gegen das Acht-Jahre-alt-Sein: nämlich neun zu werden. In der Zwischenzeit, kein Fisch. Keine Hefe. Kein Soja. Keine Nüsse. Kein Steinobst. Keine Zitrusfrüchte. Manchmal spähte Kate ratlos in den Kühlschrank. Warum, wusste sie nicht. Vielleicht hoffte sie, inzwischen wäre essbarere Nahrung erfunden worden und sie hätte nur vergessen, dass sie sie gekauft hatte. Manchmal stand sie minutenlang da und starrte in das grellweiße Licht, als wäre zwischen dem Babymais und den sorgfältig geschrubbten neuen Kartoffeln ein Allheilmittel versteckt.
Kate war sich sicher, dass sie Sophie nichts von der Verbotsliste gegeben hatte. Sie setzte sich auf den Rand der Badewanne und rief im Krankenhaus an, während Sophie an der warmen Heizung lehnte und mit ihrem Millennium Falken spielte.
Um mit dem Diätberater sprechen zu können, musste sich Kate über die Zentrale verbinden lassen. Und auf der Kinderstation ging man davon aus, dass Fachbegriffe die Eltern verwirrten. Wenn man nach dem Diätberater fragte, hieß es deshalb: »Meinen Sie den Essensdoktor?«, und dann musste man »Ja, bitte«, sagen, und man verlor wieder zehn Sekunden seines Lebens, die man nie zurückbekam. Der Diätberater war der Essensdoktor, der Hämatologe der Blutdoktor. Als sie sich das erste Mal mit Sophies Kinderarzt getroffen hatten, war er auf sie zugesprungen und hatte gesagt: »Hi! Ich bin der Babydoktor!« Nach einer Weile lernte man, seine Rolle zu spielen. Laut Drehbuch waren die Eltern ziemlich schwer von Begriff, die Ärzte blieben aber geduldig und freundlich, und alle Kinder waren tapfer.
Schließlich hatte sie den Essensdoktor in der Leitung. »Wie geht es uns heute?«
»Sophie musste sich übergeben, dabei haben wir noch nicht mal gefrühstückt. Haben Sie vielleicht eine Ahnung, was ihren Magen durcheinandergebracht haben könnte?«
»Na ja«, sagte der Diätberater, »es ist einfach so, dass bei Leukämie ja ganz direkt das Blut betroffen ist und damit sofort das ganze System des kleinen Körpers. Sie müssen damit rechnen, dass neue Unverträglichkeiten entstehen können…«
Kate schaltete geistig ab und konzentrierte sich auf die Badezimmerfliesen. Sie wusste nicht, was sie von diesem Telefonat erwartet hatte. Versuchen Sie es mal mit Pflaumenmus vielleicht oder Vanillesoße rutscht gut? Stattdessen musste sie sich einen Vortrag anhören, der anscheinend für Eltern mit Kopfverletzungen gedacht war. Dennoch fand sie ihn irgendwie tröstlich. Manchmal fühlte sie sich ja sogar dann allein, wenn Jack zu Hause war. Es war, als umkreiste man nur den Planeten, auf dem die normalen Familien lebten. Eine Krankenhausstimme am Telefon war so beruhigend wie das Gemurmel der Bodenkontrolle. Man hatte das Gefühl, dass man sich immerhin um etwas Greifbares drehte und nicht einfach im leeren Raum dahintrieb.
Sie hörte, wie Jack die Treppe heraufkam. Er blieb auf der Schwelle zum Badezimmer stehen und sah sie fragend an. Sie hob zwei Finger und
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