Gold
herausschneiden, auf einen spitzen Stock aufspießen und den Göttern anbieten musste. Sie blieb jeden Abend lange auf, um alles Mögliche über Plasma und Leukozyten zu lesen, stand früh auf, um ein spezielles Brot mit Wildgetreide und geringem Glutengehalt zu backen, und verpasste das Training, weil sie zur moralischen Stärkung Ausflüge wie den zum Todesstern organisierte.
»Na, ihr zwei …«, sagte Kate.
Bei ihren Worten richtete Sophie sich auf und schaute Jack verwirrt an. Ihre Augen waren seltsam leer wie die eines Fisches, den man totgeschlagen hat.
Jack stockte der Atem. Mehr brauchte die Angst, die er bislang in Schach gehalten hatte, nicht: Sie hatte ihn sofort im Griff.
Als er wieder hinsah, war Sophie in ihre Augen zurückgekehrt.
Er schauderte. »Würde es helfen, wenn ich die besondere Aufmunterungsmusik laufen lasse?«
Sophie riss entsetzt die Augen auf. »Neiiiiin …«
Er sprang auf, schloss seinen iPod an die Stereoanlage in der Küche an und wählte einen Marsch der vereinigten Dudelsackbläser der schottischen Highlands, der ursprünglich komponiert worden war, um die Engländer in einem Umkreis von mehreren Kilometern bei Wind, Regen und Nebel zu Tode zu erschrecken. Kate stürmte aus dem Zimmer. Jack drehte die Lautstärke hoch.
Die Dosen in den Regalen wackelten. Die Fenster erzitterten in ihren Rahmen. Jack stellte sich vor, wie die Nachbarn zusammenzuckten. Die Häuser standen Mauer an Mauer, für Jack sein persönlicher Hadrianswall.
Er stellte Sophie auf die Füße und brüllte über den Lärm hinweg: »Herrgott, Soph! Zieh dir diese Dudelsackbläser rein, und dann sag mir, dass du dich nicht schon besser fühlst!«
Sie steckte sich die Finger in die Ohren. »Es hilft nicht!«
»Was sagst du da, meine Große? Ich kann dich nicht hören, weil vierhundert Schotten in Kilts gerade verkünden, dass die Leukämie sie am Arsch lecken kann!«
Sie bemühte sich, böse zu schauen, musste aber grinsen.
»So kenne ich mein Mädchen!«
Die beiden hörten sich die Dudelsackbläser an, und Sophie schaffte es sogar, eine halbe Runde mit ihm durch die Küche zu tanzen. Jack war glücklich, und wenn man davon ausging, dass es im Universum nur eine begrenzte Menge Glück gab, saß wohl irgendwo auf der Welt der Vater eines anderen kranken Mädchens in seiner Küche, hörte Mozarts Requiem und tanzte nicht dazu.
Als Sophie außer Atem war, holte Jack ein Mars aus dem Kühlschrank, brach es durch und gab ihr eine Hälfte.
»Runter damit. Alle wichtigen Nährstoffe: Karamell, Schokolade und die mysteriöse beigefarbene Substanz, bei der es sich wohl um Vitamine handeln muss.«
Er setzte sie auf einen Küchenstuhl und sah ihr beim Kauen zu. Die Dudelsäcke waren fertig.
»Dad, kann ich dich was fragen?«
»Na sicher, meine Große. Was denn?«
Sie seufzte und sah ihn an, als wäre er nicht gerade der Hellste.
»Ist mit Mum alles okay?«
»Klar. Natürlich. Wieso?«
Sophie senkte den Blick und wurde rot. Sie legte ihre Hände auf dem Tisch übereinander, zog die untere Hand heraus und legte sie obendrauf. Sie wiederholte es schneller und schneller.
»Was ist denn?«
Sophie hielt abrupt inne. »Trainiert sie auch genug?«
»Aber ja.«
»Hat sie gestern wegen mir das Training verpasst?«
»Nein. Sie hatte einen freien Tag. Genau wie ich und Zoe.«
»Wirklich?«
Jack legte die Hand aufs Herz. »Ehrenwort.«
»Ich will, dass Mum in London Gold gewinnt.«
»Ich auch.«
»Sie ist an der Reihe, Dad.«
Er zuckte mit den Schultern. »Im Sport ist man nicht einfach an der Reihe. Wer am schnellsten ist, gewinnt.«
Sie sah ihn unverwandt an. »Und wenn sie wegen mir nicht am schnellsten ist?«
Er streichelte ihre Wange. »Oh, Sophie. Ich bin mir sicher, wenn du Mum fragst, wird sie sagen, dass es wichtigere Dinge gibt, als zu gewinnen.«
Sie hielt seinem Blick noch einen Moment lang stand. Blinzelte.
Sofort wusste er, dass er das Falsche gesagt hatte. Sie wandte sich ab. Jack drehte ihr Gesicht wieder zu sich, doch sie saß reglos da, mit gebeugten Schultern.
Er zögerte. Natürlich konnte man ein Kind so hindrehen, dass es einen ansah. Das ging, wenn man eins achtzig und ein Supersportler war. Entscheidend aber war, was man sagte.
»Vielleicht solltest du mit Mum darüber reden«, sagte er sanft.
Sie zuckte mit den Schultern. »Ich kann mit ihr nicht so reden wie mit dir.«
»Wieso nicht?«
Sie seufzte. »Es geht eben nicht.«
Jack spürte, wie sich etwas in seiner Brust
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